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Interview: Phantastische queere Labels

Interview: Phantastische queere Labels

Queer Lexikon

Im Interview mit Annika erklärt Balthazar, was es mit Labels auf sich hat, warum es so viele gibt und warum das zwar verwirrend sein kann, aber trotzdem wichtig ist.

Balthazar ist 26, nichtbinär und queer, und hat selbst schon viele Labels benutzt, bevor es bei diesen beiden angekommen ist. Es macht seit vielen Jahren queere Bildungsarbeit vor allem für Jugendliche und weiß aus eigener Erfahrung, aber auch von vielen anderen Menschen, wie schwierig es sein kann, ein passendes Label für sich zu finden und wie schön oft das Gefühl ist, wenn eine Person endlich das richtige Wort gefunden hat, das sie beschreibt.


ANNIKA: Balthazar, was würdest du denn überhaupt unter dem Wort „Labels“ verstehen?

BALTHAZAR: Ein Label ist ein Begriff, den eine Person verwenden kann, um sich selbst zu beschreiben. Im Kontext von Queerness und Identität sind „Labels“ Worte, die wir verwenden, um unser Geschlecht oder unsere sexuelle oder romantische Orientierung zu beschreiben. Also kann „schwul“ oder „heterosexuell“ ein Label sein und genauso auch „trans Mann“ oder „genderqueer“.


ANNIKA: Wir hören ja beide oft, dass Labels heute eigentlich nicht mehr nötig seien oder nur unnötig verwirren – wie stehst du dazu?

BALTHAZAR: Wenn wir eine vollkommen offene und akzeptierende Gesellschaft hätten, dann wären Labels vielleicht irgendwann wirklich nicht mehr nötig – dann könnten wir alle leben, wie wir wollen, in den Beziehungen, die uns glücklich machen (oder ohne Beziehungen), und mit den Geschlechtern, die uns beschreiben, ohne dass wir sie kategorisieren und benennen müssen.

Leider ist unsere Gesellschaft aber nicht so. Wer sich selbst nicht öffentlich ein bestimmtes Label gibt, wird automatisch für hetero und cis gehalten. (Cis sein bedeutet, dich mit dem Geschlecht zu identifizieren, dem du bei der Geburt zugewiesen wurdest.) Das stimmt für viele Leute aber eben nicht, und darum müssen sie darüber reden, und dafür auch Labels verwenden, damit andere wissen, was sie meinen.


ANNIKA: Was ist denn der Vorteil von Labels aus deiner Sicht?

BALTHAZAR: Vielen Leuten helfen Labels dabei, leichter zu erklären, was sie fühlen. Grade wenn es um Dinge wie nichtbinäre Geschlechter geht, haben viele Leute einfach keine Ahnung, was mit ihnen los ist, wenn sie keinen Begriff dafür haben. Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, haben in unserer Gesellschaft keine Sichtbarkeit und keine Vorbilder, und viele nichtbinäre Menschen denken deswegen lange, dass vielleicht etwas „falsch“ mit ihnen ist, dass sie nirgendwo hingehören und dass sie ganz allein mit ihren Gefühlen sind. Für solche Menschen kann es extrem wichtig sein, ein Wort zu finden, das sie beschreibt.

Außerdem: Wenn es ein Label dafür gibt, dann heißt das: Du bist nicht allein. Andere Menschen haben ähnliche Erfahrungen gemacht wie du, und durch ein Label kann eine Community entstehen, Leute können sich austauschen, sich gegenseitig bestärken und z.B. gemeinsam für ihre Rechte kämpfen.

pixabay

ANNIKA: Mal eine provokante Frage: Sind Label nicht nur erfundene Wörter?

BALTHAZAR: Ja, Label sind nur erfundene Wörter. Aber das ist das Schöne an Sprache: Wir können alles neu erfinden, es entstehen ständig neue Wörter und wir lernen jeden Tag neue dazu, oft ohne es zu merken.


ANNIKA: Aber ist es nicht überfordernd mit all diesen vielen Labels?

BALTHAZAR: Manche Leute fühlen sich überfordert davon und verlieren den Überblick. Das ist verständlich, vor allem, wenn Leute keinen persönlichen Bezug zu dem Label haben, also z.B. keine Person kennen, die dieses Label verwendet. Sehen wir es mal so: Es gibt tausende Namen für verschiedene Hunderassen, aber nicht alle Leute kennen alle Rassennamen – für viele ist das eine einfach nur ein großer schwarzer Hund und das andere ein zotteliger kleiner Hund. Wer selbst verschiedene Hunde in seinem Leben hat, kennt sich aber oft besser aus und kennt den Unterschied zwischen einem Collie und einem Border Collie.

Natürlich sind Menschen mit ihren Labels nicht das gleiche wie Hunderassen. Hunden ist es wahrscheinlich relativ egal, ob wir wissen, wie ihre Art heißt – wenn wir allerdings unsensibel mit Menschen und ihren Labels umgehen, dann kann das Gefühle verletzen und ganz schön daneben gehen. Deshalb: Wenn ihr euch die Mühe macht, verschiedene Hunderassen zu kennen, oder verschiedene Automarken oder Modelabels oder Namen von Liedern eurer Lieblingsband, dann könnt ihr auch verschiedene Labels lernen, wenn ihr euch ein bisschen mit ihnen beschäftigt.


ANNIKA: Wie findest du es denn, wenn Menschen ihre Label ändern?

BALTHAZAR: Das kommt immer mal wieder vor und ich finde es sehr verständlich. Wie gesagt wird in unserer Gesellschaft davon ausgegangen, dass wir alle hetero und cis sind. Die meisten queeren Leute fangen damit an, zu hinterfragen, ob das auf sie auch wirklich so zutrifft. Die wenigsten wachen aber eines Morgens auf und wissen genau, was Sache ist: Identitätsfindung ist ein Prozess, und vor allem bei weniger bekannten Geschlechtern oder Sexualitäten kann es lange dauern, bis wir den richtigen Begriff finden. Vielleicht finden wir unterwegs dann auch noch ein paar andere Begriffe, die mehr oder weniger oder eine Zeitlang passen, aber irgendwann eben nicht mehr. Oder vielleicht hat ein Mensch sich bisher immer nur in Mädchen verliebt, und verliebt sich jetzt auf einmal in einen Jungen – dann muss dieser Mensch sein Label vielleicht auch überdenken.


ANNIKA: Aber ist das nicht total verwirrend für das Umfeld?

BALTHAZAR: Es braucht vielleicht ein bisschen Umgewöhnungszeit, aber das ist schon okay – es hat bestimmt für die Person, die ihr Label geändert hat, am meisten Zeit und Umgewöhnung gebraucht. Kein Mensch ändert Labels einfach nur aus Spaß, denn es ist ja kein angenehmer Prozess, vollkommen sich selbst zu überdenken und noch ein Coming Out haben zu müssen. Sieh‘s mal so: Diese Person hat was Neues über sich herausgefunden und sich selbst besser kennengelernt und das ist total toll. Umso schöner, wenn diese Person dir genug vertraut, um dir von dem Label zu erzählen, denn dadurch lernst du die Person auch besser kennen.

ANNIKA: Letzte Frage: Wieso muss man sich denn überhaupt outen bzw. anderen Menschen von seinem Label erzählen?

BALTHAZAR: Das muss natürlich niemand. Sexualität und Geschlecht sind die Sache jeder einzelnen Person und es steht allen zu, selbst zu entscheiden, wem sie davon erzählen. Es ist aber trotzdem wichtig, dass Leute darüber reden dürfen, damit sie z.B. mit den richtigen Pronomen angesprochen werden können oder frei von ihren Beziehungen reden können. Wenn wir Sexualität und Geschlecht nur als „was Privates“ behandeln, was Leute besser für sich behalten sollten, dann kann schnell der Eindruck entstehen, dass das etwas Schlechtes oder Falsches ist, wofür man sich schämen sollte, oder dass alle Menschen cisgeschlechtlich und heterosexuell sind. Niemand sollte sich aber schämen müssen für die eigene Orientierung oder das Geschlecht, und alle Menschen haben das Recht, in ihrer Orientierung und ihrem Geschlecht respektiert zu werden. Das kann nur passieren, wenn wir offen darüber reden können und uns gegenseitig zuhören.

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