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Philipp (20) erzÀhlt von seinem Coming-out

Philipp (20) erzÀhlt von seinem Coming-out

Philipp

„Sag mal, hast du Pot geraucht?“, fragt meine vier Jahre und damit Ă€lteste Schwester mit skeptischem Blick, wĂ€hrend sie im hölzernen TĂŒrrahmen meines Zimmers steht. Das durch das Abendlicht abgedunkelte NeongrĂŒn der WĂ€nde macht den Raum kleiner, als er eigentlich ist.

„Sag mal, hast du Pot geraucht?“, fragt meine vier Jahre und damit Ă€lteste Schwester mit skeptischem Blick, wĂ€hrend sie im hölzernen TĂŒrrahmen meines Zimmers steht. Das durch das Abendlicht abgedunkelte NeongrĂŒn der WĂ€nde macht den Raum kleiner, als er eigentlich ist. Ich, fest entschlossen es  ihr zu sagen, sitze mit meinen fĂŒnfzehn jungen Jahren im Schneidersitz auf meinem Bett, wĂ€hrend ich nach den richtigen Worten suche. Das weiß ich noch so genau, weil ich an diesem Tag mein erstes Date gehabt hatte. „Nein Taddel“, ihr richtiger Name ist Tatjana, doch wir nennen sie immer Taddel wie TaddhĂ€us von Spongebob, das hat sich irgendwann so eingebĂŒrgert und ist schließlich auch geblieben. „Ich habe nicht gekifft. Ich stehe einfach mehr so auf Typen.“

Schreck! Halt! Gibt’s nicht irgendwo eine „Schritt-RĂŒckgĂ€ngig- Machen“-Taste? Ich suche vergebens und finde nur einen Pause-Button, denn die Zeit scheint wie festgefroren, das verrĂ€t mir zumindest die Verarbeitung die gerade hinter ihrem starren, unglaubwĂŒrdigen Blick stattfindet. Ich grinse in der Hoffnung, sie damit anstecken zu können, obwohl mir gerade nach alles anderem als grinsen ist. Vielleicht klappt’s ja. 

„Alter.. kannst du das nicht Ă€ndern?“ - ...ein toller Start.

Ich heiße Philipp, bin inzwischen zwanzig Jahre jung und genauer genommen ein kleines Sensibelchen. Schon sehr frĂŒh hatte ich das GlĂŒck einen Freundeskreis gefunden zu haben, der meinen RĂŒcken stĂ€rkt, komme was wolle. Das lag vielleicht daran, dass von HomosexualitĂ€t bis hin zu Native Americans und afrikanischer Abstammung alles mit dabei war. HĂ€tte ich diese Menschen nicht um mich herum gehabt, wer weiß wie lange ich mich noch vor mir selbst versteckt hĂ€tte. 

Angefangen hat mein wachsendes Selbstbewusstsein nĂ€mlich mit meinem besten halbkoreanischen Freund Benjamin, kurz Beni, der sich mir sehr frĂŒh in einer SMS offenbart hat. „Heißt das jetzt, also.. Ă€h stehst du auf mich?“ Wenn es DIE typischste Hetero- Reaktion auf der Welt gĂ€be, dann wĂ€re es wohl diese. Philipp, wo ist dein Hirn geblieben? Heute noch schĂ€me ich mich fĂŒr diesen Satz, vor allem der Tatsache entsprechend, dass ich mich ein halbes Jahr spĂ€ter bei ihm als bisexuell outete. Vorsichtshalber versteht sich, falls es ja doch nur eine „Phase“ ist, auch wenn man als kleiner Junge in Disneyfilmen bloß ein Auge fĂŒr die Prinzen hatte, es könnte sich ja wieder Ă€ndern. 

Doch spĂ€testens als man sein eigenes „kleines“ Spielzeug entdeckt hat, weiß man, was Sache ist. 

So ein mĂ€nnliches Geschlechtsteil, das hat ja schon so seinen Reiz, vor allem, wenn es nicht das Eigene ist. Heute noch bin ich Taddel irrsinnig dankbar dafĂŒr, dass sie mich, ich war dreizehn, also vor ihr noch ungeoutet, mit der Seite „Chatroulette“ bekannt gemacht hatte, ein Portal, auf dem man mit fremden Leuten von der ganzen Welt videochatten kann. Ein gewaltiges SchlĂŒsselerlebnis - selten hat mich eine Internetseite so in den Bann gezogen wie diese, die mir neue Seiten der Erregung offenbarte. Denn wer einmal auf einer solchen Seite war weiß nĂ€mlich, wieviele StĂ€nder man im Sekundentakt angezeigt bekommt - da kann selbst Ebay Kleinanzeigen nicht mithalten. 

Es war irgendwie angsteinflĂ¶ĂŸend vom eigenen Geschlecht erregt zu werden, aber mindestens genauso hatte es auch seinen Reiz, also vertraute ich meiner Lust und ging dem Verlangen weiter nach, was schließlich zur Festigung und Überzeugung meiner sexuellen AusprĂ€gung fĂŒhrte. Bloß wenige Monate spĂ€ter, mit vierzehn, schlug mir Beni eine Dating-Webseite vor: DBNA - das Dating-Portal, das mir meine ersten Dates und Erfahrungen mit gleichgesinnten Typen bescheren sollte - aber vor allem auch mein Bekenntnis meiner zwei Jahre Ă€lteren Schwester Marija oder Maya gegenĂŒber. Völlig berauscht von der Welt der Liebe tippte ich eifrig mit hĂŒbschen Jungs, einer nach dem anderen, und meine innere Achterbahn genoss monatelang ein Hoch der GefĂŒhle. 

Blöd nur, dass ich damals noch nicht daran dachte, ChatverlĂ€ufe von Skype zu löschen. Denn wer Geschwister hat, weiß, wie weit sie ihre Nasen in das Leben der anderen hineinzustecken vermöchten. 

Wie ich nĂ€mlich erst ein halbes Jahr spĂ€ter, so etwa mit sechzehn, durch Zufall erfahren durfte, hatte ich bereits ein unbemerktes Coming-Out vor Maya, die es zugegebenermaßen am besten weggesteckt und mir die wenigsten Sorgen beschert hat. DafĂŒr bin ich ihr sehr dankbar, auch wenn sie, wie Geschwister halt auch so sind, böse darĂŒber war, dass Taddel zuerst davon erfahren hat - sorry!

Der schwierigste Teil stand mir allerdings noch bevor. Meine Schwestern? Check. RumĂ€nische Mutter und serbischer Vater? Schluck. Ehrlich gesagt bin ich auch selbst etwas Schuld daran, mir eine stille „Wir sitzen im Auto und es gibt keine einzige Aussicht auf Flucht“-Situation fĂŒr meine Mutter, ihr Name ist Gina, ausgesucht zu haben. Wir sprechen ĂŒbrigens alle Deutsch miteinander.

Coming-out-Geschichten

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„Mama?“ Schon wieder dieses Herzklopfen. Kann das mal jemand ausmachen? „Mama, ich muss dir etwas sagen.“ Oh man dramatischer geht’s nicht, oder? Mach schon! „Mama ich fĂŒhle mich dem mĂ€nnlichen Geschlecht mehr angezogen“ — Es gab eine Situation, ich erinnere mich noch ganz genau, es war in der Hauptschule, ich habe Beni erst vor Kurzem kennengelernt und wir haben auf dem Vorplatz nach Schulschluss noch Beyblade gespielt. Also diese Kreiseldinger, nur dass unsere Körper dafĂŒr herhalten mussten, weil wir keine Beyblades hatten. Meine Mutter hat mich mit ihrem Renault Twingo, ein kleiner weißer ZweitĂŒrer, abgeholt. Es dĂŒrfte geregnet haben. 

Ich erzĂ€hlte ihr wie froh ich darĂŒber war, endlich einen besten Freund gefunden zu haben. „Du wirst jetzt deshalb aber nicht schwul, oder? Bitte nicht.“ Die Schweigepause die danach kam ließ mich in Angst beinahe ersticken - ich hatte also ein DĂ©jĂ -vu. „Es hat sich nichts geĂ€ndert, ich bin immer noch dein Sohn“ - „Ja, ja das bist du.“ Ich war sechzehn. Ein gefĂŒhltes Kinderspiel, verglichen zu dem, was sich zwei Jahre spĂ€ter ereignete. 

Ort des Geschehens ist die KĂŒche, mein Vater, man nennt ihn gerne Miky, so wie Micky Mouse, beinahe in Ohnmacht gefallen, sitzt am KĂŒchentisch, den Kopf in der einen Hand, die andere reibt seine inzwischen brillenlosen Augen. Ich, mit verschrĂ€nkten Armen gegen die KĂŒchenschrĂ€nke gelehnt, versuche ihn zu besĂ€nftigen. Meine Mutter meinte stets, ich solle damit noch warten. Es passt gerade nicht, hat sie immer gesagt. Was fĂŒr eine Dramaqueen, ist aber das Einzige, was mir nach dem GestĂ€ndnis durch den Kopf ging. 

Ich hatte kein MitgefĂŒhl, ich war ehrlich gesagt eher wĂŒtend, denn eigentlich sollte er der Vater, der Erfahrene, der KlĂŒgere sein. „Wenn du noch Fragen hast, du findest mich oben“. Ein Friedensangebot, das leider nie genutzt wurde. Er blieb tagelang aus, wandelte laut meiner Mutter sogar auf Gleisen herum. Sein einziger Sohn ist schwul, das muss erstmal verkraftet werden... und das tat es auch. 

Weitere zwei Jahre spÀter, Weihnachten bei uns zuhause. Mein Freund zwinkert mir zu, wÀhrend mein Vater ihm seine alltypischen, auch wenn nicht unbedingt komischen Witze erzÀhlt. Ich muss grinsen.

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