Der Körper als Ware

Auf bestimmten schwulen Datingportalen finden sich nicht nur sympathische Profile. Waschbrettbäuche, Pos und Penisse liegen wie Waren im Schaufenster aus. Je jugendlicher, schöner und sportlicher ein Körper ist, umso begehrter. Das Angebot ist groß und wird manchmal auch bezahlt. Die "WG Nachtfalke" hilft Jungs, die von Prostitution bedroht sind.
Sven überlegt. Ihm hat noch niemand Geld für einen Blowjob angeboten. Gut gebrauchen könnte er ein wenig Schotter. Sein Mofa war gerade in der Reparatur, sodass nun nicht nur sein Konto eine Null zeigt, sondern er auch bei seinen Eltern in der Kreide steht. Es wäre leicht verdientes Geld, denkt sich Sven, auch wenn es ihn etwas Überwindung kosten würde. Denn der Typ ist nicht gerade attraktiv und definitiv zwei Altersklassen zu hoch.
Für die meisten jungen Schwulen und Bisexuellen ist es absurd, dass Sven überhaupt nur darüber nachdenkt, das Angebot anzunehmen. Einige empfinden es als sexuelle Belästigung, eine solche Frage überhaupt nur gestellt zu bekommen. Immerhin sind sie in einer Onlinecommunity und nicht auf dem Onlinestrich. Aber die Grenzen verfließen zuweilen. Viele junge User haben deshalb auf ihren Profilen stehen "kein TG", kein Taschengeld, um sich vor solchen Nachrichten und Angeboten zu schützen.
Jugendliche wie Sven würde Hanne Pommer als möglicherweise prostitutionsgefährdet bezeichnen. Sie arbeitet in der "Jungen-WG Nachtfalke" in Essen, einem Wohn- und Beratungsprojekt für Jugendliche, die sich prostituieren oder aus finanzieller Not diesen Schritt erwägen. Drei Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren finden in der WG Platz. Außerdem betreuen Pommer und ihre beiden Kollegen_innen auch Jugendliche aus der umliegenden Region.
Sex als Grundeinkommen statt für Drogen
Der Kontakt beginnt dabei oft über schwule Dating- und Sexportale. Denn dort kann jeder einfach ein Escortprofil anlegen und sich prostituieren. Dies geschieht aus ganz unterschiedlichen Gründen. "Man denkt oft, dass die Jungs, die anschaffen gehen, auch immer gleich Drogen nehmen und ein Suchtproblem haben. Das kann man aber so nicht sagen. Das sind dann doch eher wenige", sagt Pommer. Stattdessen finanzieren sich einige durch Sexwork ihren normalen Lebensunterhalt, andere sehen Prostitution als Nebenverdienst, um sich etwas teures leisten zu können. "Man verdient ganz schnell durch einfache Arbeit viel Geld. Und dann ist es möglich, sich alle zwei Monate ein neues Handy zu kaufen".
Letzteres ist auch bei Robert* der Hauptgrund, der regelmäßig zur Beratung in die Jungen-WG kommt. Ihm geht es darum, sich zu seinem Nebenjob im Callcenter noch etwas hinzu zu verdienen - für Schuhe und Kleidung und Auto. Durch die Prostitution befriedigt der 19-jährige Schüler seit Jahren einen Teil seiner Bedürfnisse. Etwa ein- bis zweimal pro Woche trifft er dazu einen Freier. Meist geht es nur um einen Blowjob und ums Wichsen. "Viele versuchen dich mit einem 10er abzufrühstücken. Aber für einen Blowjob sind 30 Euro schon Minimum", sagt Robert.

Das ist auch ein Erfolg von Pommer und ihrem Team. Ihr Ziel ist es, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen selbstbewussten Umgang mit ihrer Prostitution zu vermitteln. Es geht um Safer-Sex, Selbstwahrnehmung und das definieren eigener Grenzen und wie man diese gegenüber dem Freier durchsetzt. Denn das hilft den WG-Bewohnern und -Besuchern mehr als ein striktes Verbot der Prostitution. "Es wäre Schwachsinn jemanden, der seit seinem 13, 14 Lebensjahr anschaffen geht, zu sagen: nee, mach das nicht", sagt Pommer.
Langsam ein neues Leben starten
Stattdessen will sie helfen, ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen, in der sie dann irgendwann auch abseits der Prostitution für sich sorgen können. Sie hilft den Jugendlichen, die Schule nachzuholen und einen Abschluss zu erzielen sowie eine Ausbildung zu machen. Das sind die großen Ziele. Es geht aber auch um Alltägliches, wie das Finden eines geregelten Tagesablaufs, eines Lebensrhythmus und einfach den Jugendlichen mit ihren Problemen zuzuhören. Pommer ist dabei nicht nur Betreuerin, sondern auch "Mama und Papa und Schwester und Freundin und alles so". Nach 18 Monaten in der WG ist das allerdings vorbei. Denn dann sollten die Jugendlichen nach Möglichkeit wieder auf eigenen Beinen stehen.
Das tut Sven mittlerweile auch. Trotz abgebrochener Schule und nach wie vor schwierigen Kontakt zu seinen Eltern, macht er eine Ausbildung im zweiten Lehrjahr. Das Taschengeldangebot damals hatte er abgelehnt. Sein Körper war ihm zu wertvoll, um damit die Schulden bei seinen Eltern zu begleichen. Heute, 3 Jahre später, kann er nur mit dem Kopf schütteln, dass er das überhaupt in Erwägung gezogen hatte.
*Namen von der Redaktion geändert.
Dieser Artikel erscheint in Zusammenarbeit mit dem Magazin out! des Jugendnetzwerkes Lambda. Die komplette Ausgabe des Heftes findest du unter den Links weiter unten.
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