Tiefe Depression
Es ist Dezember in einem doch recht kalten Jahr und die KĂ€lte schlĂ€ngelt sich in die Körper der Menschen, die es doch fĂŒr nötig halten, etwas zu leicht bekleidet das Haus zu verlassen.
Leider macht sich die KĂ€lte bei mir besonders bemerkbar. Meine Wunden und Narben jucken wie Hölle. Ja, und jetzt wird einem auch wieder bewusst, wieso man denn diese Wunden und Narben mit sich trĂ€gt. Aus dem einfachen Grund, dass man sich selbst nicht akzeptiert und/oder sich sogar hasst, aber zu dem Zeitpunkt habe ich mich wohl auch noch nicht entschieden gehabt, ob ich mich hasse oder nicht, also lasse ich das im Raum stehen. Kleine Schnitte, die meine Oberschenkel dekorativ schmĂŒcken. Rot ist so eine schöne Farbe. So intensiv, so stark. Und doch ist die Situation eher traurig, gar bemitleidenswert.
Nein, bemitleidenswert ist meine Geschichte nicht, sondern eher ein wichtiger Teil meines Lebens, der vollzogen werden musste, den ich alleine durchwandern musste, um mir ein StĂŒck nĂ€her zu kommen. Aber bevor das hier zu philosophisch wird, erzĂ€hle ich lieber weiter.
Meine Wunden taten nun weh, mir war kalt und das trĂŒbsinnige GefĂŒhl der Einsamkeit plagte mich auch. ScheiĂ Situation könnte man jetzt denken, tat ich aber nicht, da ich es förmlich liebe, allein zu sein, die KĂ€lte mir auch eindeutig lieber ist, als zu schwitzen und die Wunden naja, shit happens. Ich mach mich weiter auf den Weg zur Schule. Allein wenn ich das Wort Schule schon höre, bekomme ich einen gelangweilten Gesichtsausdruck und fange an desinteressiert zu sein. Aber die Geschichte soll ja nicht mein Schulalltag widerspiegeln, sondern meinen Weg zum Ziel, wobei einige Stellen doch in der Schule stattfanden oder damit zu tun hatten.
GrundsÀtzlich ist es so, dass ich stÀndig Hunger habe und auch stÀndig etwas essen könnte, wobei man nichts an meiner Figur erkennt, aufgrund meiner Krankheit: Morbus Crohn. Die beste DiÀt ohne Yoyo-Effekt, die man sich vorstellen kann. Aber wegen ihr lag ich auch schon einige Male im Krankenhaus. Alles hat so seine Schattenseite, aber damit kann ich leben.
Jedoch ist meine Schattenseite etwas gewöhnungsbedĂŒrftig, auch fĂŒr mich. Also verbringe ich meinen halben Tag damit an essen zu denken und die andere HĂ€lfte mit sinnlosem Kram. Das ĂŒbliche halt. Und dann sind da noch die paar Gedanken, die sich um die Liebe drehen.
Um die Liebe allein wie das klingt. Es waren mehr oder weniger Gedanken darĂŒber, dass ich doch wohl oder ĂŒbel, mir sehnlichst eine Beziehung gewĂŒnscht habe, was auch zum Knackpunkt der Geschichte fĂŒhrt; diese dummen Gedanken, die meinen Geist besetzen und mich in Verlegenheit bringen. Ich wĂŒnschte mir so sehr, die Liebe zu finden und glĂŒcklich zu werden, wobei man hinzufĂŒgen sollte, dass ich eher der Typ Mensch bin, der sich selbst als melancholisch depressiven Pessimisten sieht. Naja, was soll man machen...
Liebe kommt und geht und wird niemals zu mir geraten so sind haben sich meine Gedanken nie verÀndert, nur dass ich heute ein wenig anders auf die Sache blicke, aber dazu spÀter mehr.
Mittlerweile hocke ich in der 11. Klasse eines Gymnasiums und bin ausgerechnet in der Klasse gelandet, in der sich 17 MĂ€dchen und, mit mir, nur sieben Jungs befinden. Super! Jaja, denkste super. Jede bekannte Art von MĂ€dchen ist vertreten und ebenso bei den Jungs. Wobei das Klima eigentlich ganz angenehm ist. Freunde finden fiel mir, in dem Sinne, auch nie schwer, obwohl ich doch recht schĂŒchtern bin.
Aber wie gesagt, die Schule ist nicht mein Mittelpunkt der Geschichte, sondern meine Gedanken(fĂŒhrung) und mein Verhalten, denn meine Gedanken sind in der Lage mich kaputt zu machen, was sie vermutlich auch teilweise geschafft haben. Mit dem Knacks im Kopf habe ich nicht ganz Unrecht. Ich bin zum Teil echt verrĂŒckt, was man auf den ersten Blick nicht weiter bemerkt, auĂer man fĂ€ngt an, mich richtig kennen zu lernen. Na da mal viel SpaĂ bei Liebe, Beziehung So schöne Wörter, die eigentlich jeder spĂŒren möchte. Jeder auf seine Art. Nur mit meiner Art war ich nicht ganz zufrieden. Ich bin 16, mĂ€nnlich und schwul.
Naja, frĂŒher nicht zu sich stehend schwul, aber da war ich es auch schon. Das nicht zu sich stehen war auch der Auslöser fĂŒr mich, kleine Schnitte meinen Oberschenkeln zuzufĂŒgen, was auch eigentlich kein Problem war, bis man sie bemerkt hat. Man kennt ja diese Tage. Die Mutter kommt vom Einkaufen zurĂŒck und dachte sich, dass sie ihrem Sohn doch mal eine neue Hose kauft und lĂ€sst ihn diese zu Hause gleich anprobieren und Schwups! sieht man die zerkratzten Oberschenkel. Stille. Entsetzte Augen. Diese 10 Sekunden vergesse ich nicht mehr so leicht. Ich hab die Situation einfach ignoriert und gefragt, ob sie mir noch mehr mitgebracht hat. Sie schĂŒttelt den Kopf. Schweigend ziehe ich mir meine Jogginghose an, die ich vorher getragen hatte, und verschwinde in meinem Zimmer. Als ob das so schlimm ist, zerkratze Oberschenkel zu haben, ich darf doch bitten.
Naja, fĂŒr sie war das wohl schon komisch/schrecklich anzusehen. Was alles in allem auf ein GesprĂ€ch mit den Eltern und einem Arzt hinauslief. Kein Erfolg. Ich selbst weiĂ doch bereits, dass ich eine depressive Ader habe. Das muss ich mir nicht von einem Arzt bestĂ€tigen lassen, tat es aber trotzdem. Mein Arzt ging aber zusĂ€tzlich noch davon aus, dass es mit Druck von auĂen oder von tief in mir zu tun haben muss. Da lag er wohl auch gar nicht so falsch, nur dass ich das, als er fragte, bestritt und ganz einfach sagte, mit einem LĂ€cheln auf meinem Gesicht: Mir geht es gut. Das war eiskalt gelogen, mir ging es nicht gut, ganz und gar nicht und niemand wĂŒrde in der Lage sein, mich zu verstehen, also belasse ich es bei Unwissenheit. Allein komm ich eh besser damit klar. Denkste!
Einige Zeit verstrich. Es war mittlerweile Ende Januar und nichts hatte sich an meiner Situation verĂ€ndert, auĂer dass die Kratzer verheilt waren und keine neuen entstanden sind. Als es mir an einem Tag echt dreckig ging (psychisch und physisch), lieĂ ich meinen Vater mich zum Arzt fahren, der meine Situation ja bereits kannte.
Ich sprach mit ihm darĂŒber, dass es mir nicht gut gehe und ich doch bitte eingewiesen werden möchte. Das war der wohl schlimmste Tag meines Lebens, wobei, nein, der emotionalste. Mein Arzt rief bei einer Psychiatrie an und gab mir noch eine Nacht Bedenkzeit. Die war auch nötig. Als ich mit meinem Vater zu Hause wieder ankam und meine Mutter kurze Zeit spĂ€ter auch da war, ging es dann los. Ich war emotional so fertig und ausgelaugt. Meine Eltern und ich sprachen noch lange und als ich wirklich nicht mehr konnte, sprudelte es einfach aus mir raus. Drei einfache Worte, die einen so massiven Stau in mir verursacht hatten: Ich bin schwul. Ich wurde umarmt. Und meine Eltern meinten das sei doch ĂŒberhaupt nicht schlimm!
War es im Prinzip auch nicht, nur war da irgendetwas in mir, was es zu dem Zeitpunkt nicht akzeptiert hat. Kurze Zeit darauf musste ich es auch unbedingt meiner besten Freundin sagen, die sich erst einmal tierisch gefreut hat, dass sie nun ihren schwulen besten Freund hat, den sie sich so lang gewĂŒnscht hat. Ja, so kann man das auch sehen.
Mehrere Monate vergingen und noch einige Leute erfuhren davon. Niemand hatte ein Problem damit, also wieso hatte ich vorher so eine Angst, es preiszugeben? Wie dem auch sei... Zwar werde ich trotzdem noch meine 50 Jahre warten bis meine Liebe kommt, aber ich kann heute zu mir sagen: Ich bin schwul, ich stehe dazu, I am worth it!
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