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News & Berichte

Stellungswechsel: a oder p?

Von DBNA Team

Schwule haben ein Männlichkeitsdefizit, Gewalt und Gefühlskälte spielt in ihren Beziehungen eine wichtige Rolle. Keine Clichées sondern Thesen aus dem Leitartikel des schwulen Berliner Stadtmagazins Sergej. Wir haben uns eine kleine Medienkritik erlaubt.

"Aktivoder passiv?" - was für eine Frage. Allerdings stellt sich beischwulen Männern dieAnalverkehr haben wollen diese Frage ja durchaus. Als "aktiv" wirdgemeinhin derjenige bezeichnet der fickt und als "passiv" derjenigeder gefickt wird - und im Grunde hat jeder Mann ja beide Möglichkeiten."Ist die biologisch freie Wahl [zwischen aktivem und passivem Part beimAnalverkehr] psychologisch möglicherweise bereits getroffen?" ist dieFrage, die im Leitartikel der aktuellen Ausgabe von Sergej, einemschwulen Berliner Stadtmagazin, gestellt wird. Also, sprich: Wieso istein Mann (vornehmlich) passiv oder aktiv?

An sich ja keine uninteressante Frage. Der Autor dieses Artikelsversucht eine Antwort darauf zu finden, unter Zuhilfenahme von Thesenvon Richard C. Friedmann, Sigmund Freud, Ferenczi und Socarides - undscheitert daran. Vor allem deshalb, weil er diese Thesen als Aussagen der Psychologie(schlechthin) hinstellt, bunt kombiniert und nicht hinterfragt.

Damit dies wiederum keine unbegründete Behauptung meinerseits bleibt,hier nun eine ausführliche Rezension des Leitartikels und die in ihmvorgestellten Thesen:

THESE 1: "Alle Homosexuelle [teilen] eine zentrale Kindheitserfahrung":

Nämlich: Sie fühlen sich unmännlicher als andere gleichaltrige Jungen.Sie vermeiden spielerische Aggressivität wie Raufen, haben wenigerAnsehen bei anderen Jungs und können das auch nicht durch eine positiveBeziehung zu älteren männlichen Autoritätsfiguren kompensieren.Außerdem identifizieren sie sich eher mit ihrer Mutter und leiden unterder Abwesenheit einer starken Vaterfigur. Das, so die Argumentation,wird später durch homosexuelle Kontakte zu anderen Männern kompensiert.

Wenn man dies liest, könnte man ja fast glauben, es handele sich um dieWiedergabe von Clichées: der unmännliche Homosexuelle. Der Autorscheint das aber tatsächlich genau so zu meinen, zumindest werden dieseThesen"der Psychologie" nicht in Frage gestellt, schon gar nicht begründet.Und dass es genug Gegenbeispiele gibt interessiert nicht. Da wäre zumBeispiel der fußballspielende Schwule mit vielen (männlichen)Freunden oder genauso der sensible Heterosexuelle, der mit eineralleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist und trotzdem nicht schwulist. Dass sich im Übrigen sowohl GenforscherInnen als auchPsychologInnen nach wie vor über die Ursache von Homosexualitätstreiten, wird ebenfalls ausgeblendet. Aber nicht genug der Clichées:Es folgt:

THESE 2: "Während der [passive] Partner ein stärkeres Bedürfnis hat,seine defizitäre Maskulinität zu ergänzen, scheint der [aktive] vonstärkeren Aggressionen und der Notwendigkeit ihres Abbaus gesteuert zusein."

Nun also zur Beschreibung der sexuellen Rollen. Denn wenn man dem Autorglauben darf, gibt es klare Fronten: Der aktive Mann fickt nicht nur,er ist außerdem maskulin, dominant, "Straight-Actor" (also heterosexuell wirkend), vielleicht sogar älter,behaart und dunkelhaarig. Der passive Mann hingegen lässt sich ficken,unterwerfen und "in mehr als nur körperlichem Sinn" nehmen. Undvielleicht ist er auch noch jünger, unbehaart und blond. Aktive Männerleiden unter einem Überschuss an Aggressivität, den siedurch Machtausübung über andere Männer (= ficken) auszugleichen suchen.Passive Männer wiederum leiden unter einem defizitären Mangel anMännlichkeit, den sie "durch die Aufnahme [eines] Körperteil[s] desPartners" zu kompensieren versuchen.

Wobei diese Trennlinien nicht absolut zu sehen sind, sondern immerrelativ: Also der relativ männlichere Partner fickt den relativunmännlicheren Partner. Trifft zum Beispiel ein an sich eher aktivorientierter Mann auf einen noch männlicheren Mann, der zum Beispielein größeres Geschlechtsteil hat, bückt er sich auch mal für diesen.

Der Autor zeichnet ein Bild von Analverkehr als reines Machtverhältnis;so beschreibt er beispielsweise das sich-Unterwerfen eines an sichaktiven unter einen älteren Mann als Selbstbestrafung.

Diese Clichéebilder sind nun keineswegs neu, allerdings kaum zeitgemäßgeschweige denn begründbar. Es ist sicherlich richtig, dass in einerklar chauvinistisch-machohaften Gesellschaft das Penetrieren alsMachtausübung von Männern gegen Frauen gesehen werden kann, somit alsovon männlich-dominant-aktiven Menschen gegen unmännlich-unterworfene;allerdings sind spätestens seit der Emanzipationsbewegung derart simpleMachtschemen nicht mal mehr auf heterosexuelle Beziehungen anwendbar(man denke allein daran, dass Frauen heute die Freiheit haben, sichihre Sexualpartner selbst auszusuchen, durchaus also aktiv daranbeteiligt sind, wer sie denn penetriert), geschweige denn aufhomosexuelle.

Das gezeichnete Bild von aktiven und passiven Schwulen unterschlägtvöllig, dass Rollentausch in homosexuellen Beziehungen Gang und Gebeist. Dass Aktive nur ficken um Aggressionen abzubauen und Passive umheute hinfällige und überholte Männlichkeitsideale zu kompensieren,scheint gerade deshalb besonders absurd. Sexualität hat neben derMachtkomponente (die zugegebenermaßen in allen sozialen Handlungenmehr oder weniger vorhanden ist) vor allem anderen eine sozialeKomponente, dient zum Festigen, Stabilisieren und Bilden sozialerBindungen.

Der Autor unterliegt hier schlicht einem überholten, sexistischenGesellschaftsbild und der Reduktion von Sexualität auf Machtausübung,was wohl gerade aus psychologischer Sicht - aus der hier ja argumentiertwird - schlichtweg falsch sein dürfte.

Last but surely not least:

THESE 3: "Aggression spielte eine wesentliche Rolle in homosexuellen Beziehungen."

Diese These wiederum leitet der Autor folgender Maßen her:
Der Passive versucht durch die Aufnahme von Körperteilen des Aktivenseine Männlichkeitsdefizit zu kompensieren (siehe These 2). Und nun sei der Artikel einmal wörtlich zitiert: "In Rothenburg führte das bekanntlich sogar so weit, dass das Genital des anderen verspeistwurde. Gerade Letzteres unterstreicht die Beobachtung, dass homosexuelle Umgangsformen ein Maß an Rücksichtslosigkeit, Gefühlskälteund Aggression aufweisen."

Abgesehen davon, dass die Bezeichnung der kanibalischen Vorfälle inRothenburg als "homosexuelle Umgangsformen" - gelinde gesagt -problematisch ist, ist die Folgerung hieraus, dass homosexuelleBeziehungen gefühlskalt seien, unhaltbar und komplett vorbei an dersozialen Realität. Abgesehen davon, dass sich aus Einzelbeispielenkeine allgemeinen Erkenntnisse ableiten lassen - wie sollte sichsoetwas wie eine, auch bei Schwulen durchaus nicht unübliche,langjährige Beziehung auf der Basis von "Rücksichtslosigkeit,Gefühlskälte und Aggression" aufbauen lassen? Wieso sollte der Schwuleper se so sein? Und was hat Schwulsein mit Kanibalismus zu tun?

FAZIT:

Es spricht ja weiß Gott nichts dagegen derartige von Psychologenverfasste Thesen vorzustellen und zu diskutieren. Hier aber, wieAnfangs gesagt, liegt der Punkt: Derart pauschalisierende Behauptungenmüssen hinterfragt werden. Zumal sie keinesfalls die heutige Realitätabbilden, höchstens anachronistische Clichées. Die Reduzierunghomosexueller Individuen auf aktiv/passiv mag in Darkrooms gängig sein,spätestens im Tageslicht entpuppt sie sich als absurd.
Das Erstaunlichste aber ist, dass ein derart homophob wirkender Artikel ausgerechnet in einer schwulen Zeitschrift erscheint.

Den hier rezensierten Artikel findest du in Sergej, einem schwulenStadtmagazin aus Berlin, Ausgabe 11/2005, unter dem Titel"Stellungswechsel: A oder P", in der Rubrik "Gesellschaft" auf Seite24ff. In Anführungsstriche gesetzte Teile dieser Kritik sind Zitateaus dem Artikel.

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