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Anthony Hüseyin (genderqueer) im Interview!

Von Tom Von Jannis Von Tobias
Anthony Hüseyin (genderqueer) im Interview!

​Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Künstler Anthony Hüseyin (36) seinen neuen Song "If You Love Someone". Der genderqueere Musiker beschäftigt sich hierbei mit dem Raum von Intimität, Vertrauen und Wut, mit Lust und Loslassen und tritt schließlich für sich selber ein!​ Mit seinen bisherigen Singles "We Make Sense Together" und "I'm Falling in Love" gewann er bereits einen Preis als Singer-Songwriter auf der Grote Prijs Rotterdam und trat mit seiner Musik in ganz Europa auf Festivals und auch Solo auf.

Geboren in Urfa und aufgewachsen in Istanbul, machte Anthony Hüseyin einen Master im Jazzgesang in den Niederlanden. Anthony gab seinen türkischen Pass auf, um nicht zur Armee gehen zu müssen. Der dadurch offiziell niederländische nicht-binäre Musiker-Performance-Künstler und Aktivist lebt nun in Berlin.

In einem Interview stellte er sich unseren Fragen:
(das Original-Interview wurde auf Englisch geführt)

Du identifizierst dich als Genderqueer. Wann und wie hast du dies herausgefunden?

Ich denke, dass ich von Rotterdam nach Berlin umgezogen bin, hat viel damit zu tun. Das ist nun ein Jahr her. Ich würde sagen, die letzten sechs bis acht Monate habe ich begonnen es deutlich auszusprechen. Es ist noch ziemlich neu für mich.

Ich bin noch beim „Erkunden“. Es fühlt sich genauso an, wie als ich mich 2004 als cis-homosexueller Mann in Istanbul geoutet habe. […] Ich fand es auf eine ähnliche Art heraus.

Nachdem ich im Jahr 2000 nach Istanbul gezogen war und im Konservatorium studierte, erfuhr ich etwas über die ,,schwule Szene“. Nachdem ich Leute wie mich getroffen und von schwulen Künstlern erfahren hatte, realisierte ich: Das existiert wirklich und es geht nicht nur um Sex, es ist eine komplette Identität!

In Berlin war es auf eine ähnliche Art und Weise. […] Diese „Befreiung“ lässt mich fühlen, dass es Teile von mir gibt, mit denen ich noch nie in Berührung kam, welche ich unterdrückt habe. […] Also, ich sehe und fühle mich weder wie ein Mann noch wie eine Frau - was auch immer diese Begriffe bedeuten. Je mehr ich erfuhr, je mehr ich las, je mehr Menschen ich kennenlernte, denen es wie mir ging, realisierte ich, dass es nicht darauf ankommt, welche Kleidung oder ob du Make-up trägst, kurze Haar hast oder dich nicht männlich oder weiblich verhältst. […]


Wie beeinflusst/e das deine Musik?

Ich beschäftige mich immer mit der Identität meiner Stimme / meines Klangs und die Stimme / der Klang meiner Identität. Ich forderte mich unterbewusst selbst und mein Umfeld heraus, indem ich verschiedene Klanggeräusche, Teile von meiner Stimme, benutzte. Die Stimme ist ein solch vertrautes Instrument, es reflektiert alles - jedes Gefühl - sofort. Ich nutze meine Falsett- und Kopfstimme viel mehr als jemals zuvor während der Auftritte. Ebenso schreibe ich meine Songs, indem ich die Pronomen he/him/they (er/ihn/sie) benutze.


Was macht deine Musik besonders?

Ich denke, dass ich das mit zwei verschiedenen Zitaten beantworten kann. Das erste ist von Rumi:

,,Gestern war ich schlau, deshalb wollte ich diese Welt verändern. Heute bin ich weise, deshalb verändere ich mich selbst.“

Ich bin ein Künstler, der im ständigen Wandel ist. Ich selbst weiß nicht mal, über was meine nächste Arbeit sein wird. Ich weiß nicht, was mir als nächstes passieren wird. Leben und Leute, Liebe und Verlust, Armut und Freiheit… Alles, was uns zu Menschen macht, ist meine Inspiration und ich werde daraus weiter Musik machen. Meine Arbeit besteht aus realen Lebensereignissen und basiert auf persönlichen Erfahrungen und Emotionen.

Das zweite Zitat ist von Oscar Wilde:

„Wenn du weißt was du sein willst, dann wirst du es unvermeidlich - das ist deine Bestrafung, aber wenn du nie weißt, dann kannst du alles sein.“

Das ist dazu die Wahrheit. Wir sind keine Nomen, wir sind Verben. Ich bin keine Sache, ein Schauspieler, ein Schreiber. Ich bin eine Person, welche Sachen tut. Ich schreibe, ich schauspielere, und ich weiß nie, was ich als nächstes machen werde. Ich denke, du kannst gefangen werden, wenn du dich selbst als ein Nomen siehst.

Ich strebe dauernd danach, mich selbst zu bessern. Ich verstehe nicht, wie Leute ihre Handys und Computer weiter updaten, aber nicht sich selbst. Wir sollten kontinuierlich uns selbst updaten, zu besseren Versionen.

Deine letzte Tour wurde von der Niederländischen Botschaft unter dem Namen ‘Musik zum Verbinden’ gesponsort, welche stark auf die LGBTQI Community fokussiert war. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Das war eine der großartigsten Album-Tourneen, die ich je hatte. Ich wurde in Universitäten und Konservatorien eingeladen, um Fragen über meine Musik und das Schwul-sein zu beantworten.

Es gibt eine große, offene Untergrund-Alternativ-LGBTQ-Community in der Türkei und sie streben nach Leben, Liebe und Freiheit. Unglücklicherweise musste ich deren Vorstellungen über Europa, die Niederlande und Deutschland zerstören. Denn manche denken, das ist ein Zufluchtsort des Friedens, ein Paradies. Aber sie wissen nicht, dass sie hier mit Rassismus, Homophobie und Transphobie umgehen müssen. Im „besten Fall“ werden sie hier wegen ihrer Hautfarbe verdinglicht und instrumentalisiert.

Außerdem hatte die Regierung wegen des Deutschen Queer Film Festes an diesem Wochenende in Ankara ein Verbot aller LGBTQI+ Veranstaltungen ausgesprochen. Deshalb stand ich kurz davor, dass ich nicht auftreten durfte/konnte. Mir hätte es nichts ausgemacht, festgenommen zu werden, aber ich war für die Musiker, mit denen ich dort war, verantwortlich und wollte sie nicht der Gefahr aussetzen.

Vor ein paar Wochen hast du das Musikvideo des Songs “If you Love someone" veröffentlich. Was ist die Kernaussage des Songs? Was hat dich inspiriert, den Song zu schreiben?

In diesem Video hinterfrage und denke ich über den Raum nach. Den persönlichen Raum, der unseren Zufluchtsort bildet oder in dem wir uns verstecken, wenn wir, überwältigt von starken Emotionen, nicht bereit sind, intim zu werden.

Oder den Raum, den wir in einem Machtspiel verwenden, um zu versuchen, die Sicherheit und den Schutz, mit der uns eine andere Person versorgt, zu kontrollieren, als hielten wir deren Herz in unserer Hand.

Oder den Raum, den wir als Ausrede benutzen, um eine Art “Nein" zu der Person zu sagen, in die wir nicht komplett verliebt sind? Wir verschwinden, wir antworten nicht, wir schreiben nicht zurück, obwohl unser Gegenüber keine Grenzen gesetzt und schon seine Wand einfallen lassen hat. Wir lassen quasi die andere Person entscheiden, wann sie uns nahekommt und wann nicht. Das Unbekannte, die Probleme, die wir haben, wenn jemand, den wir lieben, eine Grenze aufstellt.

Dieses Video hat für mich eine große Bedeutung, da es das erste Mal ist, dass man mich einen anderen Typen küssen sieht. Das ist für mich revolutionär. Es ist nicht nur ein Kuss. Es ist ein weiteres Coming-out. Es ist eine Rückforderung meines Raums, welcher mir immer wieder von der heteronormativen Welt genommen wurde.

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