Versteckt im Reich der Mitte
In China gibt es die größte Gruppe von Schwulen und Lesben auf der Welt. Über 130 Millionen Homosexuelle leben statistisch in der Volksrepublik. Sichtbar sind sie allerdings kaum. Verstecken und Scheinehen gehören für sie zum Alltag. Ein Beitrag zum Internationalen Tag gegen Homo- und Trans*-feindlichkeit.
Seine Eltern wissen bis heute nicht, dass er schwul ist. "Meine Mutter würde es nicht verstehen. Sie ist Analphabetin. Mein Vater war nur auf der Volksschule", sagt Mingsong. Über Schwule haben sie nie etwas gelernt. Sie nennen sie pìjīng (屁精), einem Begriff, der nur von der älteren Bevölkerung im Norden Chinas benutzt wird. "Das bedeutet 'Monster, die Arschlöcher mögen'. Und das ist höflich übersetzt", sagt Mingsong, der derzeit ein Praktikum in Deutschland macht.

Mittlerweile gehören diese Gesetze der Vergangenheit an. Aber trotzdem sind Männer, die Männer lieben, noch ein sensibles Thema in der chinesischen Gesellschaft. Vor allem auf dem Land, wo die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung lebt, sind das Tabu und die Vorbehalte groß. Schwule und Lesben sind dort weder ein Thema, noch kennt man sie persönlich. Dies ist auch einer der Gründe, warum kaum schwulen- und lesbenfeindliche Gewalt verzeichnet wird. Wer sich nicht öffentlich als homosexuell zu erkennen gibt, bietet keine Angriffsfläche - geht aber im Ernstfall ebenso wenig zur Polizei, was einem öffentlichen Coming-out gleichkäme.
Die Polizei verbietet die Wahl zum "Mr. Gay China"
Ein solches wäre allenfalls in den großen Städten wie Peking, Shanghai und Ghuangzhou möglich, wo sich die Liberalisierung langsam bemerkbar. Seit einigen Jahren etabliert sich hier eine Szene mit LGBT-Zentren, queeren Veranstaltungen, Informationsangeboten im Internet und Hilfsgruppen. Leicht hat die Community es aber nicht. Sie bekommt immer wieder die Repressalien der Behörden zu spüren. 2010 etwa sollte die erste Wahl zum "Mr. Gay China" stattfinden, ein wichtiges politisches Zeichen, doch wenige Stunden vor der Show kam die Polizei und verbot den Wettbewerb. Die Organisatoren ließen sich nicht davon unterkriegen und holten die Wahl Wochen später im Geheimen nach. Dazu gehört in einem Land wie China viel Mut.

Eine Mutter bricht ihr Schweigen
Wu Youjian ist eine Vorzeigemama, die viel Respekt genießt - vor allem auch von jungen Queers. Nicht wenige würden sich wünschen, dass ihre Eltern auch so reagieren. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Dies liegt auch am traditionellen chinesischen Familienbild und der chinesischen Ein-Kind-Politik. Wenn ein Elternpaar nur einen Sohn hat und dieser gleichzeitig schwul ist, so besteht keine Chance, dass er Kinder zeugt und die Familie fortführt. Er muss sich zwischen seiner Sexualität und der Familientradition entscheiden.

Für den 24-jährigen Mingsong kommt das nicht in Frage, obwohl seine Mutter bereits danach fragt, ob er eine Freundin hat. Bisher konnte er sich immer gut rausreden. Aber wie lange wird das noch gehen? Fakt ist: Ein Coming-out ist für ihn keine Alternative. "Ich weiß nicht, was passieren würde", sagt er pessimistisch. Sobald er mit dem Masterstudium fertig ist, will er deshalb zunächst in eine andere chinesische Großstadt ziehen - hinein in die Anonymität- und dort einen Mann finden. Ob das klappt, weiß er selbst nicht.
Zum Anschauen:
"Mama Rainbow" heißt eine Doku über schwule und lesbische Jugendliche und deren Mütter. Der chinesische Filmemacher und LGBT-Aktivist Fan Popo hat sie produziert. Er will mit ihr auf die Situation von Queers in China aufmerksam machen. dbna zeigt euch die Doku mit deutschen Untertiteln: