Rein Platonisch

Vor rund 2.500 Jahren hegten in Griechenland die älteren Männer der Oberschicht offenkundiges Interesse an Knaben. Die sogenannte Knabenliebe ist zunächst in der altgriechischen Gesellschaft akzeptiert gewesen, doch mit der Zeit distanzierte man sich davon.
Solche Beziehungen waren aber nicht, wie man aus heutiger Sicht vermuten könnte, verfemt. Die Knabenliebe, oder auch Päderastie genannt, stellte damals eine institutionalisierte also eine gesellschaftlich anerkannte Beziehungsform dar. Verhältnisse zwischen zwei Männern wurden jedoch in keinster Weise toleriert denn Homosexualität war im antiken Griechenland gänzlich tabuisiert.
Päderastie wurde weniger als eine (homo-)sexuelle Verbindung angesehen, da diese Verhältnisse maßgeblich pädagogisch motiviert waren. Der erastés (Mann) musste seinem erómenos (Knabe) auf jeden Fall in seiner Bildung überlegen und seinem Geliebten ein Idealbild, nämlich das eines vollwertigen Mannes, sein.
Sexuelle Handlungen als Riten der Kraftübertragung
Über die sexuelle Komponente der Päderastie wurde in der Öffentlichkeit geschwiegen, um sich von den verrufenen homosexuellen Beziehungen abzugrenzen. Dennoch war Sex ein fester Bestandteil solcher Verhältnisse.
Mit Vollzug des Aktes wurde der Knabe in die Gesellschaft, der erwachsenen Männer, erhoben. Sex soll sogar die Funktion einer Kraftübertragung von erastés zu erómenos gehabt haben. Die Weisheit und Reife des Mannes, so glaubte man, ging dabei in den Jüngling über.
Die bevorzugte Praktik war der Schenkelverkehr, bei dem der Knabe sich nicht wie beim analen Verkehr, die Blöße geben musste, die der Frau zugedachte Rolle einnehmen musste. Eine unumstößliche Regel war außerdem, dass der erastés stets aktiv handeln musste, denn jegliche sexuelle Handlung sollte ausschließlich seiner Befriedigung dienen.
Eros "Sehnsucht nach dem Schönen"
Der griechische Gott für die begehrliche, die erotische Liebe heißt Eros, der Sohn von Aphrodite, der Göttin der (sinnlichen) Liebe. Heute wird das Wort "Eros" im Deutschen gerne synonym zu Liebe verwendet. Doch dies widerspricht eigentlich der ursprünglichen Bedeutung. Der Begriff Eros wurde von Platon als eine innerliche, sehr starke, Sehnsucht nach dem Schönen beschrieben. Mit "dem Schönen" meinte Platon allerdings weniger die physische Schönheit, sonder mehr die seelische, die philosophische Schönheit.

Enthaltsamkeit in der platonischen Liebe
Platon, der wohl berühmteste Schüler des Sokrates, gehört zu den ersten großen Philosophen der Geschichte. Er lebte in der Hochphase der altgriechischen Päderastie. In seinen Philosophien beschäftigte er sich unter anderem intensiv mit der Liebe und dem Eros. Nach ihm ist die Enthaltsamkeit das höchste anzustrebende Ideal in einer Beziehung. Denn nur, wer sich nicht von der Sexualität blenden ließe, der könne auch das "Wahre", das Innerste und den Geist seines Geliebten erkennen.
Sokrates lebte eben dieses Ideal. Sein Schüler Alkibiades, mit dem er auch eine Beziehung pflegte, schrieb über ihn: "Ihr seht, dass Sokrates in die schönen Jünglinge verliebt ist [] doch in Wahrheit kümmert es ihn nicht, ob einer schön ist, oder irgendeinen Vorzug hat. [] Er hält all diese Güter für wertlos []."
Ihre Beziehung unterschied sich deutlich von anderen Liebesverhältnissen dieser Art. Es war nicht Sokrates, der versuchte Alkibiades für sich zu gewinnen, sondern Alkibiades verliebte sich, während der stundenlangen, philosophischen Diskurse, in seinen Lehrer. Er entwickelte eine regelrechte Faszination für Sokrates und glaubte, dass es keinen "berufeneren Helfer" gebe, der ihn zu einem vollkommenen Mann machen könnte.
Sokrates wies alle Versuche mit ihm zu schlafen ab, womit er aber die Sinnlichkeit nicht vollkommen zurückdrängte. Er behielt stets den Blick auf das eigentliche Schöne, das Alkibiades innewohnte. Nachdem die beiden eine Nacht gemeinsam unter einem Mantel verbracht hatten, sagte Alkibiades zu jener Nacht: " Ich stand nicht anders auf, als wenn ich neben meinen Vater [] geschlafen hätte."
Diese Liebesbeziehung kann als die erste "platonische Liebe" angesehen werden, da sie Platons Vorstellungen von einer von eros getriebenen Liebe erfüllte. Wenn man heute von einer "platonischen Liebe" spricht, dann bezeichnet man eine durchaus erotische Beziehung, die egal ob freiwillig oder nicht auf Sexualität verzichtet.
Ephebophilie ≠ Pädophilie
Heute gibt es selbstverständlich auch Männer, die eine Beziehung zu einem Jugendlichen haben. Dies ist aber unter Umständen strafbar. Nämlich wenn der Jugendliche jünger als 14 Jahre alt ist oder der Mann älter als 21 und der Jugendliche unter 16. (dbna berichtete) Beziehungen, die per se legal sind, werden in der Öffentlichkeit jedoch kritisch gesehen und der Mann gerne leichtfertig als pädophil denunziert. Die Vorliebe für wesentliche jüngere Partner wird als Neoterophilie, die Vorliebe eines Mannes für Jünglinge als Ephebophilie.

Päderastie auch im 21. Jahrhundert?
Der Begriff der Päderastie ist heute nur noch in der Wissenschaft, als Fachterminus für die Knabenliebe im antiken Griechenland, gebräuchlich. Die ursprünglichen Motive und Ziele der Päderastie sind in der heutigen Zeit kaum noch anzutreffen. Dass sich Jugendliche im 21. Jahrhundert noch von ihrem Liebhaber erziehen lassen und sich freiwillig dem sexuellen Trieb ihres Partners unterwerfen, um von seiner praktischen Lebensklugheit, seinem Wissen sowie seiner "Kraft" zu profitieren, ist unwahrscheinlich.
Wer von der Weisheit und der Lebenserfahrung eines Älteren wirklich bereichert werden möchte, der sollte noch einmal an Sokrates und Alkibiades zurückdenken. Wenn man sich innig verbunden fühlt rein platonisch versteht sich dann kann ein intensiver Dialog zu einem der mächtigsten Riten von Kraftübertragung werden.
Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden. So sprach auch Sokrates in jener Winternacht, als er Alkibiades Anbiederungsversuch zurückwies und ihm zu verstehen gab, dass ihre Beziehung rein platonisch bleiben würde: "In Zukunft wollen wir beschließen und tun, was hierin und in allem andern uns beiden das Beste scheint."