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Die Würde des Menschen...

Von DBNA Team
Die Würde des Menschen...
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(Fast) jeder junge Mann musste da schon durch – oder muss noch durch: die Musterung beim Kreiswehrersatzamt. Dort wird deine Wehrtauglichkeit geprüft. Doch was darf dort geschehen und was nicht?

Den einen Satz kennen wir alle aus der Schule zur Genüge. "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Im Gemeinschaftskunde- oder Rechtskundeunterricht in der Schule haben wir alle gelernt, dass dieser bekannte Satz aus Artikel 1 unseres Grundgesetzes (GG) die Grundlage unseres Rechtssystems bildet und somit Grundlage für alle Gesetze unserer Nation ist.

Doch genau an diesem Ort, der Schule, fragen sich viele homosexuelle Jugendliche, wo ihre Würde bei den Demütigungen durch Mitschüler und Mitschülerinnen bleibt. Dass sie sich andauernd dumme Sprüche anhören dürfen, gehört noch zu den eher harmlosen Dingen. Sie werden aber auch oftmals ausgegrenzt und schlecht behandelt.

Kaum ist aus dem Jugendlichen ein schwuler junger Erwachsener geworden, flattert die Ladung zur Musterung ins Haus. Er surft durchs Internet und stolpert über schreckliche Erlebnisse und Geschichten zur Musterung, wenn er sie nicht schon in der Schule, der Familie oder sonst wo gehört hat. Gerade Schwule machen sich aufgrund der möglichen früheren Demütigungen und der verstärkten Angst vor Benachteiligungen besonders große Sorgen bezüglich der Musterung. Sie befürchten, dabei (erneut) zum Opfer zu werden. Sollte Artikel 1 GG also nicht auch bei der Musterung schützen?
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Die Musterung

Zur medizinischen Untersuchung bei der Musterung gehört auch eine Intimuntersuchung. Diese wird durch die Dienstverordnung ZDv 46/1 der Bundeswehr geregelt. Demnach gehören zur Intimuntersuchung:
- das Zurückziehen der Vorhaut zur Feststellung von Geschlechtskrankheiten,
- die Untersuchung der analen Region,
- und das Abtasten der Hoden, sowie Abtasten der Leiste und Leistenbeuge.

Eine rektale Untersuchung zum Abtasten der Prostata ist bei Wehrpflichtigen eigentlich nicht vorgesehen, da in jungen Jahren die Wahrscheinlichkeit für Prostatakrebs sehr gering ist.

Die meisten dieser Intimuntersuchungen sind nicht begründet und dienen eher weniger der Feststellung der Wehrdienstfähigkeit. Die einzigen relativ sinnvoll wirkenden Untersuchungen sind das Abtasten der Leiste und der Leistenbeuge. Auch das Befühlen der Hoden, um bei jungen Männern sehr häufig auftretende Erkrankungen wie Leistenbruch und Hodenkrebs festzustellen, ist nicht unklug. Diese wären sogar  möglich, wenn der Proband die Unterhose anbehält.

Der weniger intime Test auf eine Schwäche der Leiste bzw. Leistenbruch erfordert das Herunterziehen der Hose auf Höhe des Schambeins (Symphyse), also bis knapp über den Penis. Der Arzt tastet hierbei die Leiste ab und der Wehrpflichtige wird aufgefordert zu husten. Um die Leistenbeuge abzutasten, drückt die zu musternde Person zuerst rechts und dann links neben Penis und Hodensack die Unterhose ein kleines Stückchen herunter. Jetzt kann von der Ärztin/dem Arzt der Übergang der Oberschenkel-Innenseite zum Rumpf direkt neben dem Hodensack abgetastet werden, während der Proband hustet.

Besonders Männer sind von Leistenbrüchen betroffen. Mit einem Leistenbruch bzw. einer Schwäche an dieser Stelle ist ein Mann bei der Bundeswehr nicht für alle Zwecke voll einsatzfähig. Danach kann man die Unterhose wieder hochziehen.

Eine Untersuchung nach Hodenkrebs ist sinnvoll, aber hat bei dem Arzt des Vertrauens oder einem niedergelassenen Arzt im Allgemeinen den Vorteil, dass sich dieser sich die Zeit nimmt und dem Patienten noch die Eigenuntersuchung zeigen kann, denn eine einmalige Untersuchung ist unzureichend. Hierfür müsste der Mann aber auch nicht die Unterhose ausziehen. Dabei wäre es ausreichend, wenn der Wehrdienstpflichtige den Hodensack seitlich an der Beinöffnung aus der Unterhose heraushängen lässt. Der Arzt kann nun den Hoden abtasten.

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Rechte und Würde bei der Musterung

Der bis zum Jahre 2005 bestehende § 45 Abs. 1 Satz 2 des Wehrpflichtgesetzes besagte, dass eine Ordnungswidrigkeit vorlag, wenn ein Teil der Musterung verweigert wurde. Hier konnte ein Strafgeld verhängt werden und somit war der Mann scheinbar auch verpflichtet, sich vollkommen zu entkleiden und die Intimuntersuchung zu erdulden.

Der junge Mann war in Wirklichkeit aber gar nicht dazu verpflichtet, da die die Würde und die Persönlichkeit des Menschen durch Artikel 1 GG und Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt werden. Diese im Grundgesetz verankerten Artikel stehen über dem Wehrpflichtgesetz und können durch dieses (im Gegensatz zu anderen Gesetzen) nicht beschnitten werden. So konnte und kann ein jeder Mann bei der Musterung die Intimuntersuchung verweigern oder auf eine Durchführung durch einen männlichen Arzt hinter einem Vorhang/Sichtschutz zum Schutz vor den Blicken der Schreiber bestehen.

Durch diese falsche Interpretation der Rechtslage im Bezug auf den bis zum Jahre 2005 bestehenden §45, Abs. 1, Satz 2 des alten Wehrpflichtgesetzes und die hochamtliche Vorladung mit der Androhung polizeilicher Vorführung bei Nichterscheinen, denken leider auch heute noch viele, dass es ihre Pflicht sei, sich zu entkleiden. Auch trauen sie sich somit nicht, sich über ihre Rechte zu informieren oder die Intimuntersuchung zu verweigern.

Die Kreiswehrersatzämter (KWEA) versäumen es nicht nur, über das Recht, die Intimuntersuchung verweigern zu können, aufzuklären, auch hat die Bundeswehr ihre Zentrale Dienstverordnung 46/1 zum 01. September 2010 geändert: Nun soll jeder junge Mann, der die Intimuntersuchung verweigert, zum Urologen.

Davon sollte man sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Die ZDV 46/1 ist für den Zumusternden nicht bindend und weshalbd dieser Forderung somit nicht nachkommen werden muss. Die Musterung geht ansonsten trotz Verweigerung der Intimuntersuchung weiter und alle bisherigen Befunde und alle Daten, die später erhoben werden, werden für die Feststellung der Wehrpflicht oder der Ausmusterung uneingeschränkt verwendet.

Jedoch sollte sich jeder überlegen, das Angebot, zum niedergelassenen Urologen nach eigener Wahl zu gehen, anzunehmen. Ein Urologe ist nämlich ein Facharzt und somit auf seinem Fachgebiet kompetenter als ein Musterungsarzt. Auch sind hier bei der Untersuchung keine Assistentinnen anwesend, die dies vor einer Trennwand sitzend als Schattentheater beobachten oder gar frei nach dem Motto "Mittendrin statt nur dabei!" direkt zuschauen.

Auch beim Urologen kann man Teile der Intimuntersuchung ablehnen (siehe Empfehlungen oben). Sinnvoll aber ist auf jeden Fall das Abtasten der Hoden und des Hodensacks zur Feststellung von Hodenkrebs oder einer Krampfader (Varikozele) im Hodensack. Letztere  beeinträchtigt die Zeugungsfähigkeit. Der Urologe ist auch der richtige Mann für eine spätere Behandlung, falls bei der Untersuchung etwas festgestellt werden sollte. Zudem kann er zur Eigenuntersuchung der Hoden anleiten, um Hodenkrebs frühzeitig zu erkennen.

Das Risiko an Hodenkrebs zu erkranken, ist bei Männern zwischen 17 und 25 Jahren besonders hoch. Erst nach Vollendung des 40. Lebensjahres ist es sehr unwahrscheinlich an Hodenkrebs zu erkranken. Deshalb ist es sehr empfehlenswert, in regelmäßigen Abständen den Hodensack selbst abzutasten.

Auch derjenige, der gegen die Intimuntersuchung durch einen Arzt des Kreiswehrersatzamtes nichts einzuwenden hat, sollte diesen Teil der Musterung im eigenen Interesse also besser von einem Urologen seiner Wahl durchführen lassen.
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Moralische Hintergründe

Jeder Mensch hat seine Imtimsphäre, die ihm von Natur aus gegeben ist. Die engste Imtimsphäre hat ungefähr den Radius einer Armlänge um uns herum. Dringt jemand Fremdes oder Unsympathisches in diesen Kreis ein, fühlen wir uns automatisch unwohl. Eine solche Situation lässt sich jedoch nicht immer vermeiden. Im Zug beispielsweise stehen ständig Menschen in diesem Kreis. Am Liebsten würden wir dann fliehen. 

Wären wir jetzt bis auf die Unterhose ausgezogen oder gar ganz nackt und alle anderen um uns herum angezogen, würden wir uns noch mehr bedroht fühlen. Vor allem Männer, da sich ihre Fortpflanzungs- und Geschlechtsorgane relativ ungeschützt außen am Körper befinden, fühlen sich daher schnell bedrängt.

Wird ein Junge oder ein junger Mann gezwungen, sich einer solchen Situation auszusetzen, so ist das erniedrigend. Ihn mittels Verordnungen und Gesetzen zu einer solchen Erniedrigung zu treiben, verletzt die Würde des Menschen! Vor allem junge Männer mit einem geringen Selbstwertgefühl und einem schwachen Selbstbewusstsein werden dadurch getroffen.

Somit ist die Musterungspraxis vieler KWEA, die jungen Männer zum ärztlichen Gespräch, Leistungserprobung mit Liegestützen oder Kniebeugen und Untersuchungen nur mit Short/Unterhose bekleidet hereinzurufen, nicht sehr menschenwürdig.

Muss der Proband zur ärztlichen Untersuchung nur mit Unterhose bekleidet hereinkommen, bedeutet dies, dass er sich bei der Intimuntersuchung komplett ausziehen muss. Damit steht er völlig nackt und entblößt vor dem Arzt oder mittlerweile meist vor der Ärztin. Jedoch sollte aus Respekt vor dem Probanden immer eine Körperregion bedeckt sein, wie es sich auch für reguläre Untersuchungen bei einem Arzt wie dem Hausarzt oder dem Urologen sich gehört. Der Proband sollte somit mit T-Shirt hereingerufen werden, welches er vor allem bei der Intimuntersuchung trägt, falls der Proband diese überhaupt zulässt.

Letztendlich liegt es an jedem selbst, wie er auf seine Recht pocht. Die KWEA sollten jedoch gehalten sein, das geringst mögliche Mittel zu wählen, um die Intimspähre jedes jungen Bürger zu schützen. Dadurch würde auch dessen Würde nicht unnötig angegriffen.

Wie sich die Musterungen über das Jahr 2011 hinaus bei eine potentiellen Aussetzungen der Wehrpflicht gestalten wird, steht ohnehin noch aus.

Weitere, detaillierte Informationen sind über [email protected] zu erhalten. Dort können auch persönliche Fragen gestellt werden.

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