Das Wesen der Homophobie

Die Abneigung gegen HomosexualitĂ€t versteckt sich in NebensĂ€tzen. Wer also wissen will, was jemand wirklich ĂŒber Homosexuelle denkt, muss bis zum Schluss zuhören. Er erfĂ€hrt viel ĂŒber die Psyche von homophoben Menschen.
Es sind Reflexe, die tief in uns verwurzelt sind, die uns vor der Bedrohung des Seelenfriedens schĂŒtzen sollen. Es sind natĂŒrliche AblĂ€ufe, die aus einem vorurteilsfrei geborenen Menschen einen Gegner von HomosexualitĂ€t machen, so wie sie aus anderen Menschen Rassisten machen. Diese Menschen sind nicht böse. Sie fĂŒrchten sich nur.
Die Angst vor dem Fremden ist ein menschlicher Reflex. Unsere Psyche ist stÀndigen EinschlÀgen ausgesetzt. Unser Geist muss mit unzÀhligen Herausforderungen fertigwerden. Er gleicht die Reize mit dem ab, was er kennt: Erfahrungen, Erlebnisse, Erziehung. Erscheint uns etwas als fremd oder andersartig, schaltet unsere Psyche in den Schutzmodus: Sie warnt uns vor den möglichen Gefahren und negativen Konsequenzen einer Sache.
Unser SelbstwertgefĂŒhl bestimmt, wie wir auf bestimmte soziale Gruppen reagieren. In unserer Unsicherheit fĂŒhlen wir uns stĂ€rker, wenn wir bestimmte Gruppen als schwĂ€cher ansehen. Wir werten uns auf, indem wir andere abwerten. Wir kaschieren unsere Angst, indem wir den Blick auf Andere, vermeintlich Unterlegenere lenken. Wir zeigen mit dem Finger auf diejenigen, die gegen Normen verstoĂen. Dadurch erscheint unser Leben normaler, sicherer.
Unser Geist ist ein eher trĂ€ges GemĂŒt. Er arbeitet wie ein Computer. Er reduziert, verdichtet und bĂŒndelt Informationen. Er arbeitet mit Stereotypen und verschafft uns eine mentale Bequemlichkeit, nicht jedes Mal alles neu bewerten und einordnen zu mĂŒssen. Das hilft uns, unseren geistigen Arbeitsspeicher zu schonen und schnell die vermeintlich richtige Reaktion abrufen zu können. Klischees und Handlungsmuster sorgen dafĂŒr, dass wir uns mit ĂŒberschaubarem geistigen Aufwand orientieren können.
Dass wir gelegentlich irren, ist nicht verwerflich. Problematisch wird es, wenn wir nicht hinterfragen, ob wir irren. Die Macht der Konventionen wickelt uns in Vorurteile und Erwartungen, mit denen wir bestimmten Bevölkerungsgruppen begegnen. Wir nehmen Klischees verstÀrkt wahr - "Tunten", "Kampflesben" etc. - und reagieren mit den Vorbehalten, die uns unser soziales Umfeld beigebracht hat. Wir diskriminieren "die Anderen", weil es unser soziales Umfeld tut - und wir dazugehören wollen.
Wir stellen diejenigen infrage, die scheinbar unsere Normen und unser Wertesystem in Frage stellen. FĂŒr viele Menschen ist HomosexualitĂ€t ein Frontalangriff auf konservative Werte - und damit auf das, was ihnen ihr soziales Umfeld eingetrichtert hat, was ihnen Eltern und Kirche vorgelebt haben. Sie reagieren verstört und mit Abwehr, wenn Ehe und Familie vermeintlich bedroht scheinen. Es ist die diffuse Angst, dass ihre eigenen Normen entwertet werden. Und es ist nicht ihre Schuld.
Einige Psychologen behaupten, dass sich in der Abneigung gegen HomosexualitĂ€t auch die Angst vor der eigenen Neigung versteckt. Im Einzelfall mag das stimmen. Das tradierte Bild von MĂ€nnlichkeit bietet keinen Platz fĂŒr MĂ€nner, denen der Habitus des starken Geschlechts fremd ist. Diese MĂ€nner mĂŒssen noch nicht einmal schwul sein, um die klassische Rollenverteilung auszuhebeln. Es ist die dumpfe Angst, dass die MĂ€nner ihre Dominanz verlieren, die viele Homo-Gegner antreibt.
Homophobie ist menschlich, weil Angst menschlich ist. Wenn man dafĂŒr VerstĂ€ndnis aufbringt, verliert die Homophobie etwas von ihrem Schrecken.