Geschichten

"Wahrheit oder Pflicht"

Von DBNA Team

Das ist gerade so ein Moment, an dem ich nicht genau weiß, an welcher Stelle ich ansetzten soll...da gibt es so Vieles zu erzĂ€hlen.

AndrĂ©, 18: Ich muss ungefĂ€hr 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal auf den Gedanken kam, dass ich schwul sein könnte. Das war ein Gedanke der nur schleichend aber immerhin sehr sicher nĂ€her rĂŒckte. Wahrscheinlich hĂ€tte ich mir darĂŒber so schnell auch noch keine Gedanken gemacht, wenn nicht alle anderen Jungs aus meinem Freundes- und Schulkreis der MĂ€dchenblitz getroffen hĂ€tte. Erst waren es zwei, drei Jungs die sich dann eben fĂŒr MĂ€dchen interessierten und ihre Freizeit mit ihnen verbrachten. Nur nach und nach wurden es immer mehr, bis ich irgendwann ganz allein da stand. Ich wartete, wartete ewig bis es mich auch erfassen wĂŒrde. Nur dieser Moment kam nie und ich hab ebenso nie verstanden was ich falsch machte?!

Es klappte doch bei allen anderen auchund so ging es auch noch lange weiter, bis ich in der 7. Klasse war und an einer Klassenfahrt nach Wuppertal teilnahm. Im Allgemeinen haben wir dort nicht sehr viel mit der Klasse unternommen und verbrachten in Folge dessen die meiste Zeit in der Jugendherberge. Ich war mit fĂŒnf weiteren Jungs aus meiner Klasse auf einem Zimmer und vor allem die NĂ€chte zogen sich endlos lang, da wir praktisch nie geschlafen haben. In der zweiten Nacht tranken wir verbotener Weise auch ein paar SchlĂŒckchen Alkohol und Jemand kam auf die Idee, dass wir noch Flaschendrehen spielen könnten, was wir dann auch taten und auch ĂŒberaus lustig war Dann machten wir gegen 02:00 Uhr Morgens mit Wahrheit oder Pflicht weiter, was ebenso lustig war, bis ich an der Reihe war, mich fĂŒr Pflicht entschieden hatte und einer meiner Zimmergenossen den Einfall hatte, dass ich jemanden aus unserem Zimmer einen blasen sollte. Da ich genauso wie alle andren zu dem Zeitpunkt schon ziemlich viel getrunken hatte und nicht mehr wirklich im Vollbesitz meiner geistigen KrĂ€fte war, hatte ich dies ohne großes Überlegen geht, was wohl der grĂ¶ĂŸte Fehler meines bisherigen Lebens war.

Der andere Morgen begann sehr ungewohnt. Nachdem alle aus unserem Zimmer aufgewacht waren, grölten sie nicht wie ĂŒblich herum, sondern sahen sich nur gegenseitig an. Ich sah es ihren Gesichtern an, dass sie alle das Ereignis der gestrigen Nacht beschĂ€ftigte, aber niemand sprach es an, bis ich sagte: Ihr werdet mich doch nicht verraten, oder?zumindest wollte ich das sagen, aber noch bevor ich es ganz ausgesprochen hatte, wurde die TĂŒr aufgerissen, einer meiner MitschĂŒler aus einem anderen Zimmer kam herein um uns zu wecken und ein Junge meines Zimmers platzte die Neuigkeit lauthals herausam schlimmsten war, das dieser Jemand ausgerechnet mein damaliger bester Freund war. Diesen Schlag ins Gesicht habe ich ihm bis heute nicht verziehen und werde ich in diesem Leben auch sicherlich nicht mehr, aber das war in Verlauf der weiteren drei Tage auf dieser Klassenfahrt, der anschließenden Monate und Jahre auf meiner Schule das kleinste Übel, weil ich von diesem Moment an scheinbar alles verloren hatte.

Meine sĂ€mtlichen Freundschaften, mein Ansehen in der Klasse, meine damalige Klassensprecherrolle, diese Dinge sind weggefallen und immer mehr Mobbing kam hinzu. Der Morgen nach dieser Nacht war das erste Mal, dass ich ĂŒberhaupt auf den Gedanken kam schwul zu sein und ich konnte bzw. wollte mit niemandem darĂŒber redenich wusste es ja selbst noch nicht einmal genau, da ich ja noch ganz am Anfang stand. Alles kam auf einmal und schien sich mit jedem weiteren Tag zu verschlimmern, aber aufgefallen ist es weder meinen Lehrern noch meinen Eltern. Das Einzige was auffiel war, das seit der Klassenfahrt nach Wuppertal meine Leistungen in allen SchulfĂ€chern einbrachen und niemand hatte eine ErklĂ€rung dafĂŒr, da ich bislang immer ein sehr fleißiger SchĂŒler gewesen war. Ich war auch irgendwann nicht mehr in der Lage ĂŒberhaupt noch dem Unterricht zu folgen bzw. fĂŒr Klassenarbeiten etc. zu lernen, da ich jeden Tag, wenn ich wieder zu Hause war erneut vor dem folgenden Schultag Angst hatte. Eine Angst die sich im Laufe der Monate soweit entwickelte, dass ich mich jeden Morgen auf meinem Schulweg ĂŒbergab und es spĂ€ter zu einem regelmĂ€ĂŸigen Zustand wurde.

Klein war ich nie, zu der Zeit war ich bestimmt auch schon um die 1,85 m groß, wog irgendwann aber nur noch ca. 51 kgund erkannte mich nach einer Zeit selbst nicht mehr im Spiegel wider. Nun kamen auch die ersten Fragen, meiner Eltern und Lehrer, was mit mir los sei NatĂŒrlich habe ich nicht das Geringste von dem was mich bedrĂŒckte preisgegeben und fraß es stattdessen noch immer tiefer in mich hinein, obwohl ich mir mittlerweile vollkommen im Klaren darĂŒber war, dass sich meine sexuelle Neigung nicht mehr Ă€ndern wĂŒrde.

Das Problem war nur, dass ich nicht schwul sein wollteich werte mich mit aller Kraft dagegen, aber egal was ich versuchte, scheiterte. An einem Abend hatte ich mein Reservat an Kraft restlos aufgebraucht und weinte wie eigentlich jeden Abend vor mich hin. Ich war an diesem Abend ganz allein zu Haus, da meine Eltern bei Bekannten auf einer Party waren und meine Schwester bei einer Freundin ĂŒbernachtete. Ich kann schlecht beschreiben, was damals in mir vorging, es war als wĂ€re in meinem Kopf kein einziger Gedanke mehr gewesen, als wĂ€re alles in jeder Hinsicht sinn- und aussichtslos. Es soll vorbei sein, das war der einzige Wunsch den ich noch hatte und hoffte das mir eine Hand voll Schlaftabletten diesen Wunsch auch erfĂŒllen wĂŒrden. Und ich weiß bis heute auch noch nicht warum, aber auf einmal war dieser Moment vorbei, dieser Moment an dem alles still war in meinem Kopf. Auf einmal war mir klar, was ich da gerade getan hatte, und es doch eigentlich nicht wolltealso erbrach ich mich und dachte noch einmal ĂŒber alles nach. Im Grunde hat sich auch durch diesen Abend mein weiteres Leben nicht verĂ€ndert. Die Schule war unverĂ€ndert grausam und meine Eltern konnten sich nach wie vor nicht erklĂ€ren, was mit mir nicht stimmte. Im Grunde könnte meine kleine ErzĂ€hlung hier schon zu ende sein, aber das ist sie nicht. Es ging zwar noch eine lange Zeit so weiter, aber irgendwann wurde dieses Thema in der Schule etwas altes und kaum Jemand interessierte sich noch dafĂŒr.

Im Mai 2012 wurde ich 17 Jahre alt und feierte meinen Geburtstag in meinem Familienkreis. Das Wetter war herrlich und wir saßen Abends noch bis tief in die Nacht am Lagerfeuer. Etwa zwei Wochen spĂ€ter kamen Bekannte von mir und meiner Familie zu Besuch und wir saßen am Abend erneut am Lagerfeuer. Meine Großeltern waren ebenfalls wider dabei. Da meine Eltern auch mehrere lesbische Paare in ihrem Freundeskreis haben, mit denen ich mich auch super verstehe, kamen wir irgendwie auf sie zusprechen und mein Oma hatte es sich wie immer nicht nehmen lassen ĂŒber Homosexuelle herzuziehen, immer nach dem Mot(to): FrĂŒher hĂ€tte es so was nicht gegeben! Er hörte nicht damit auf, auch wenn seine Meinung sonst niemand dort teilte. Und ich konnte es nicht lĂ€nger zurĂŒckhalten, die TrĂ€nen, diese Probleme und vor allem die ganzen Ängste wollten aus mir heraus.

Das war also mein Coming-Out. Es war ein so harter und schwerer Weg dort hin, aber es hat so gut getan, als mir schließlich alle um den Hals flogen und mich so akzeptierten, wie ich bin. Auch in der Schule hatte ich dann letzten Endes eine andere Art damit umzugehen und trat viel selbstsicherer und selbstbewusster auf, als noch ein Jahr zuvor. Die Schule habe ich doch noch mit guten Noten abgeschlossen und mache nun seit Oktober 2013 eine Ausbildung. Ich bin auch schon bei ein paar meiner Mitarbeiter geoutet und habe erfahren, dass noch mehrere meiner Mitarbeiter schwul sind und es auch von Allen in meinem Betrieb akzeptiert wird. Ich bin nun so glĂŒcklich, dass es so ist wie es ist und bin heute sehr stolz darauf MĂ€nner zu lieben und das auch zugeben zu können. Viele liebe GrĂŒĂŸe an euch alle! Und all den Jenigen, die sich noch nicht geoutet haben, vielleicht weil sie genau so eine schlimme Angst davor haben, wie ich damals, möchte ich sagen: Lasst euch nicht unterkriegen und hört nie auf, ihr selbst zu sein, denn wir alle sind nicht mehr und nicht weniger wert als Heterosexuelle auch!
Coming-out

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