Vereitelte PlÀne
Mein Coming-out... war schwierig. Zumindest vor mir selbst. Ich habe Jahre gebraucht, es mir selbst einzugestehen. Ich habe angefangen zu merken, dass ich Jungs mag, als ich ca. zwölf Jahre alt war, als halt das Thema Sex/Liebe interessant wurde. Doch alle Gedanken daran schob ich beiseite.
Ich wurde also mehr oder weniger in eine Rolle gedrÀngt, die mir alles andere als auf den Leib geschnitten war. Ich war hetero, habe mir selbst eingeredet, dass Schwulsein falsch ist, dass das nicht normal sei. Und das, obwohl ich beim Onanieren immer öfter an Jungen dachte oder Bilder von Jungen als Vorlage nahm.
Dann wurde ich 15 Jahre alt. Ich fuhr in den Urlaub, zusammen mit meinem damals besten Freund. In diesem Urlaub kam es dann dazu, dass wir einiges ausprobierten. Ich hab also meine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem heute noch ĂŒberzeugten heterosexuellen Jungen gemacht. Ich hab mir wieder eingeredet:Â Das war nur eine Phase, wir haben ausprobiert. Macht das nicht jeder Jugendliche irgendwann mal? So ging das wieder Jahre lang.
Das ging sogar so weit, dass ich drei Beziehungen mit MĂ€dchen fĂŒhrte. Ich hatte Sex mit ihnen. Ich war ja hetero. Nach der dritten Beziehung verliebte ich mich das erste Mal in einen Jungen. Ich hatte inzwischen das 18. Lebensjahr vollendet. Er ging in meine Berufsschulklasse und war natĂŒrlich hetero, aber das war mir egal. Ich hatte mich in einen Jungen verliebt. Wie konnte das sein? Ich hatte doch mehr als einmal befriedigend unter Beweis gestellt, dass ich heterosexuell war. Ich machte mir einen Riesenkopf, ging aber sofort zu meiner besten Freundin, um mit ihr zu reden.
Sie wusste schon lange, dass ich schwul bin und hatte mich schon öfter danach gefragt, aber ich habe es halt immer verneint. Im GesprÀch mit ihr fing ich an, zu akzeptieren, dass ich wohl doch bisexuell sei. Ich habe darauf bestanden, bi zu sein. Schwul konnte ich doch gar nicht sein, oder? DOCH! Genau das war es.
Ab diesem Zeitpunkt, dieser Selbsterkenntnis, fand ich nichts, aber absolut gar nichts mehr an MĂ€dchen attraktiv. FĂŒr mich gab es nur noch Jungs. Und einer auf der StraĂe war attraktiver als der nĂ€chste.
Ein halbes Jahr spĂ€ter hatte ich meinen ersten Freund. Und es war in dem Moment das schönste GefĂŒhl der Welt fĂŒr mich. Ich hatte mir endlich selbst eingestanden, dass ich schwul bin, und stolz darauf sein kann. Das war im Dezember, zwei Monate, bevor ich 19 wurde. Mein Self-Coming-out hat also sieben Jahre gedauert.
Meine Freunde wussten natĂŒrlich inzwischen alle, dass mein Herz fĂŒr MĂ€nner schlĂ€gt, ebenfalls meine Klassenkameraden. Niemand hatte ein Problem damit. Alle fanden gut, dass ich endlich zu dem stand, was fĂŒr die anderen schon jahrelang eine Tatsache war.
Doch nun der nĂ€chste Schritt: Meine Familie. Ich wollte mein Coming-Out eigentlich in zwei 4-Augen-GesprĂ€chen jeweils mit meinem Vater und meiner Mutter hinter mich bringen, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Denn am selben Mittag hat meine Mutter mich noch angerufen. Sie wollte wissen, was wir zu Weihnachten machen und was wir essen. Da meine Mutter so etwas ewig im Voraus plant und ich ja nun einen Freund hatte, fragte ich, ob ich jemanden mitbringen dĂŒrfte an Weihnachten. Ihre Antwort war ganz locker. NatĂŒrlich, kein Problem.
Doch dann der Satz, der meine PlĂ€ne vereitelte: Ich nehme an, es ist ein MĂ€dchen? Ich lĂŒge meine Mutter nicht an, ich sage ihr immer die Wahrheit, egal wie sehr es mich in den Dreck zieht. Also antworte ich ihr, dass es ein Junge ist, dass wir zusammen sind und fragte, ob sie das nicht eh schon geahnt hat. So weibliche Intuition halt, ne? Sie wusste nichts, es war fĂŒr sie aber auch absolut kein Problem.
Wir trafen uns kurz danach, sind etwas Trinken gegangen und wir haben uns ganz offen ĂŒber das Thema unterhalten. Ăber Liebe, Sex und Sicherheit, wie MĂŒtter halt so sind. Die wollen alles wissen. Und das ganz genau. Sie meinte, sie sei stolz auf mich, dass ich ihr alles gesagt habe und dass ich ihr das ganze Vertrauen entgegen bringe.
Bleibt noch mein Vater. Und wie es der Zufall will, hat auch er es am Telefon erfahren. Dass ausgerechnet solche Themen aufkommen, wenn man es absolut nicht will. Aber gut, also erfuhr auch er es am Telefon. Er und seine Frau, meine Stiefmutter, hatten es sich schon lange gedacht, aber nie einen festen Anhaltspunkt gehabt, um mich darauf anzusprechen. Auch fĂŒr ihn war es also kein Problem.
Durch ihn haben es dann meine Geschwister erfahren, weil er am Essenstisch den Mund nicht halten konnte, aber egal. Jetzt wissen es alle und ich fĂŒhl mich wohl damit. Frei. Ich habe die besten Eltern und Freunde, die man sich nur wĂŒnschen kann. Sie freuen sich mit mir, wenn es mir gut geht und weinen mit mir, wenn es mir scheiĂe geht, aber niemand verurteilt mich fĂŒr irgendeine weibliche Geste, die ich ab und zu drauf hab. DarĂŒber wird nur geschmunzelt. Ich liebe sie alle!
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