"Sissy Boy"
Nachdem ich selbst hier seit Jahren schon mitlese, habe ich mich dazu entschlossen, auch meine eigene Geschichte hier zu veröffentlichen.
Das ging dann so weiter in der Unterstufe eines Gymnasiums einer gröĂeren Provinzstadt, wo ich auch eigentlich, da ich immer recht beliebt war, und zu den "Coolen" in der Klasse gehört habe auch, nicht wirklich jemals ein Mobbing-Opfer geworden bin, obwohl ich doch oft nicht sehr "Mainstream-Burschen-Interessen" gehabt habe, von Musicals und klassischer Musik bis hin zur Literatur. Doch mit dem Beginn der PubertĂ€t habe ich recht schnell gemerkt, dass ich mich doch eher zu MĂ€nnern hingezogen fĂŒhle. Was fĂŒr mich zwar keine erfreuliche Entdeckung war, aber mir auch nicht die groĂen Probleme bereitet hatte. Ich habe auch nie wirklich an ein echtes "Coming-Out" gedacht, bis ich eines Tages auf "bare: a pop opera", ein amerikanisches Pop-Musical, welches von der tragischen Liebesgeschichte zweier schwuler Highschool-SchĂŒler in einer katholischen Privatschule handelt, stieĂ. Die Musik und die Texte haben mir einen anderen Zugang zu der Thematik, abseits von CSD und Life Ball eröffnet, die ich mir nie ertrĂ€umen hĂ€tte lassen.
Plötzlich war das Thema "Coming-Out" in meinem Kopf. Ich habe es zwar lange verdrĂ€ngt, aber es ist immer wieder gekommen. Nach einer doch sehr interessanten, schönen und durchaus auch erfolgreichen Schulzeit, folgte ein Jahr Zivildienst, welches mir vor allem eines verschaffte: Zeit zum Nachdenken: "Wer bin ich? Was will ich von meinem Leben?" Doch auch das hat nicht wirklich Abhilfe geschaffen und ich habe meine Sorgen und meinen Kummer allwöchentlich in ausgedehnten "Sauftouren" mit meinen Freunden ertrĂ€nkt. Einen wirklichen Schritt nach vorne hat dann mein Umzug in unsere Hauptstadt gebracht, weg aus der Provinz ins "richtige Leben". Ein Profil auf einer der Dating-Plattformen war schnell erstellt, und ich habe mich ins Abenteuer "Neues schwules Leben" gestĂŒrzt.
Neben einigen AusflĂŒgen in die "Damenwelt" hatte ich auch immer wieder Dates mit MĂ€nner, welche oft wirklich interessant, oft doch sehr eigenartig waren. Bis ich schlieĂlich einen netten Burschen, nennen wir ihn Lukas kennen lernte, der zwar sehr nett, aber auch schon etwas Ă€lter als ich war. Wie es das Leben so wollte, habe ich mich wirklich in ihn verliebt und wir hatten auch das was wir eine "Beziehung auf Probe" nannten. Es schien alles sehr schön fĂŒr mich, doch der Druck wurde immer gröĂer, vor allem die Ausreden, warum ich an Wochenenden und Feiertagen plötzlich in der Hauptstadt bleiben wollte, haben einiges an KreativitĂ€t abverlangt. Mir wurde alles zu viel, auch der Altersunterschied, und schlieĂlich war ich irgendwie erleichtert, als ich einen Grund fand, mich von ihm zu trennen.
Lange Rede, kurzer Sinn, wir nĂ€hern uns dem eigentlichen Coming-Out: Besagter Lukas hatte mir einige Postkarten mit Liebesbekundungen geschrieben, welche ich wohlweislich bei Besuchen meiner Eltern und nach dem "Beziehungsaus in einem Ordner aufbewahrte. Da habe ich nicht mit der Neugier meines Vaters gerechnet, der beim Saubermachen nach handwerklichen TĂ€tigkeiten in meiner Wohnung "zufĂ€llig" auf die Karten stieĂ. Nach einem jĂ€mmerlichen Versuch meinerseits das abzustreiten, war die Sache ziemlich klar, ich habe geweint und mich auf den Boden gesetzt, und mein Vater hat die "groĂe" Frage gestellt: "Jonas, bist du schwul?", ich, in TrĂ€nen aufgelöst habe ihm dann alles erzĂ€hlt. Wie eigentlich nicht erwartet hat mein Vater sehr gefĂŒhlsbetont reagiert, mich in den Arm genommen und mir versichert, dass das fĂŒr ihn keinen Unterschied macht und da ich ja hin und wieder auch etwas mit Frauen "am Laufen habe", vielleicht mich doch irgendwann fĂŒr ein "klassisches Lebensmodell" entscheide.
So weit so gut. Wir beschlossen es also noch am selben Tag meiner Mutter zu sagen, zu der ich eigentlich immer ein sehr gutes VerhĂ€ltnis hatte. Sie hat entsprechend schlechter reagiert, geweint, und gemeint "eine Mutter spĂŒrt so etwas" und "sie hĂ€tte es getrĂ€umt". Im Endeffekt hat aber auch sie gemeint, dass Ă€ndere nichts an ihrer Zuneigung zu mir und mein Vater hat das alles noch damit bekrĂ€ftigt, in dem er meinte sie werden immer hinter mir stehen, ganz egal fĂŒr welchen Lebensweg ich mich entscheide. Nach einigen Tagen peinlicher GesprĂ€che und weiser Worte meines Vaters, ich sollte auch mögliche Auswirkungen auf meine Karriere bedenken, hat sich die Sache relativ schnell wieder beruhigt, aber es war immer wieder Spannung in der Luft, u.a. auch weil meine Mutter immer in Frage gestellt hat, mit wem ich mich wirklich treffe, wenn ich etwas unternommen habe und sie hin und wieder Anmerkungen in Gegenwart Fremder machte, welche Sorgen ich ihr nicht bereite, was natĂŒrlich fĂŒr allgemeine Verwirrung gesorgt hat.
Nun habe ich heute mir ihr zum ersten Mal offen ĂŒber alle Probleme die auf mich zukommen könnten und ĂŒber meine Situation geredet, was fĂŒr sie anscheinend eine groĂe Ăberwindung bedeutet hat, doch schien sie mir nach diesem GesprĂ€ch ungewöhnlich erleichtert, und sie hat mir auch noch danach eine SMS geschrieben, wie wichtig ihr das GesprĂ€ch war, und dass sie mich sehr lieb hat. Alles in Allem also bis jetzt ganz gut gelaufen, fĂŒr meine Schwester und meinen engeren Freundeskreis war das sowieso nie ein Problem, die wussten ja schon lĂ€nger davon. Jetzt stehe ich mir nur noch selbst gegenĂŒber, mit dem ich ausringen muss, was ich von mir und meinem Leben will - und natĂŒrlich als sehr glĂ€ubiger Katholik die ewige Frage, ob Gott das alles so fĂŒr mich will.
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