Geschichten

Eine SMS, die alles verÀnderte

Von DBNA Team

Ich wusste von Anfang an, dass ich es meinen Eltern nicht sagen wollte. Meiner Mutter auf keinen Fall, meinem Stiefvater schon gar nicht. Ich hatte permanent beim Abendessen neben ihnen gesessen, wenn sie im Abendprogramm ĂŒber Schwule gelĂ€stert hatten... Und, um ehrlich zu sein, hatte ich auch nicht das dringende BedĂŒrfnis, sie es unbedingt wissen lassen zu mĂŒssen...

Jamie, 20: Aber dann ergab sich eines Tages eine spontane Situation, in der ich bewusst nichts tun musste, und sie es trotzdem durch mein Verhalten erfahren konnte. Ich war mit meiner Mutter bei einer Freundin von ihr. An sich kein spektakulĂ€res Ereignis. Aber es ergab sich die Gelegenheit, dass ich von ihrer Freundin ein neues Handy bekommen konnte. Gesagt getan. Aber wohin nur mit meinem alten? Praktischerweise hatte meine Mutter gerade keines, sodass sie sich durchaus glĂŒcklich schĂ€tzte, als ich ihr mein altes anbot. Lösch aber bitte deine Nachrichten, mein Schatz. Ich will ja keine privaten Nachrichten lesen, sagte sie schmunzelnd. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, wie nachhaltig dieser Satz sein sollte.

Ich begann also, mein Handy nach Nachrichten zu durchforsten. Es waren ziemlich viele, an die 100 StĂŒck, sodass ich nach einer Weile keine Lust mehr hatte. Ich wollte gerade alle Verbliebenen in einem Zug löschen, als ich einen Anruf von meiner besten Freundin erhielt. Wir quatschten kurz, ĂŒber dies und das und jenes. Ich hatte mich erst vor kurzem bei ihr geoutet. Und da sie ja selbst lesbisch ist, hatte sie mit meiner BisexualitĂ€t ĂŒberhaupt keine Probleme. Dann fragte sie mich, ob ich die SMS bekommen hatte, in der sie mir von ihrer Freundin geschrieben hatte. Ich sagte, ich wĂŒrde noch einmal nachschauen. Wir verabschiedeten uns und ich legte auf.

Nun konnte ich also doch noch nicht alle SMS von meinem alten Handy löschen. Also machte ich mich daran, jene SMS zu suchen, von der meine beste Freundin gesprochen hatte. Die fand ich auch. Aber nicht nur die. Ich stieß auf eine weitere SMS von ihr. Sag ma, hast du deiner Ma eigentlich schon gesagt, dass du auch auf Typen stehst? Diese Nachricht machte mich sehr nachdenklich. Es war die einzige, die ich nicht löschte. Ich wusste, dass ich ohnehin nie den Mut besessen hĂ€tte, es meiner Mutter ins Gesicht zu sagen. Aber wie interessant wĂ€re es gewesen, wenn sie es ganz zufĂ€llig durch meine Unachtsamkeit erfahren hĂ€tte. Was hatte ich schon zu verlieren? Sie wĂŒrde es erfahren. Das war das Ziel. Das Ziel, das ich ohne dieses kleine Spiel wohl nicht erreicht hĂ€tte.

Ich ließ mich also darauf ein, gab meiner Ma spĂ€ter mit einem LĂ€cheln das Handy und sagte: Ist soweit alles gelöscht. Es verging kein ganzer Tag. Noch am selben Abend sagte sie zu mir, als wir an einem Baum alleine standen: Ich muss morgen mal mit dir reden. Da hatte ich Angst. Und dennoch lĂ€chelte ich dabei. Wohl aus dem Grund, weil ich wusste, dass sie es nun wusste.

Stunden spĂ€ter ging ich ins Bett. Da wir bei ihrer Freundin ĂŒbernachteten, schliefen wir in einem großen Ehebett im GĂ€stezimmer. Sie war wohl nicht mehr wach. Das dachte ich zumindest. Doch keine Minute, nach der ich mich hingelegt hatte, drehte sie sich zu mir und sagte: Junge bist du schwul? Innerlich lachte ich erst mal. Wann immer mir jemand diese Frage gestellt hatte, hatte ich sie kĂŒhnen Blickes verneint. Aber diesmal war ich den Weg zu weit gegangen, um wieder einmal Nein zu sagen. Und ich hatte es auch nicht vor. Also antwortete ich (gespielt souverĂ€n, mit einer Prise Erleichterung in der Stimme): Äh nein Ich bin bi.

Da war es raus. Und ich war unheimlich erleichtert. Ihre Reaktion war mir relativ egal, in dem Moment ging es mir lediglich darum, dass es raus war, dass sie es wusste. NatĂŒrlich war sie nicht schlagartig begeistert und ich durfte mir zunĂ€chst die stereotypen Standards ĂĄ la Das ist doch nur eine Phase und Bist du dir da wirklich sicher anhören?. Aber auch das war mir egal. Ich sagte ihr, was sie wissen wollte. Dann gingen wir schlafen.

Am nĂ€chsten Morgen reagierte sie auf mich relativ normal. Die nĂ€chsten zwei Wochen, genau genommen. Doch dann, eines Abends, ließ sie sich plötzlich völlig abrupt auf der Badewanne nieder. Bist du schwul? Ich weiß bis heute nicht, wie sie in diesem Moment wieder darauf kam. Meine spontan-verwirrte Reaktion war: HÄH?!? Also erklĂ€rte ich es ihr noch ein weiteres Mal.

Im Verlauf der nĂ€chsten Wochen verbesserte sich unser VerhĂ€ltnis zusehends. Ich erzĂ€hlte ihr von meinem Ex-Freund, der zugleich mein erster Freund war. Und noch weitere Details, die ich ihr vorher verschwiegen hatte. Nun, zwei Jahre spĂ€ter, ist unser VerhĂ€ltnis besser denn je und ich kann mich so ziemlich ĂŒber alles mit ihr unterhalten. Ich habe es nie bereut, dass ich genau diese SMS damals eben nicht gelöscht hatte.
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