dbna'ler des Monats: Dario (24) aus Brunnen

Dario/dbna
Dario war zwei Jahre lang bei der Schweizergarde. Das ist die kleinste Armee der Welt â und Leibwache des Papstes. Er erzĂ€hlt ĂŒber das Leben im Vatikan, Gewissensbisse und wieso ihm der Dienst geholfen hat, zu sich zu stehen.
Dario, du warst zwei Jahre lang Teil der Schweizergarde. Was ist die Schweizergarde ĂŒberhaupt und wie kam es, dass du in ihr gedient hast?
Die Schweizergarde ist die unabhĂ€ngige Armee im Vatikan und die kleinste Armee der Welt. Insgesamt gibt es nur 110 Gardisten. Die Armee hat vier Grundaufgaben: Die Residenz des Papstes und ihn selbst zu beschĂŒtzen, die EingĂ€nge zum Vatikan zu kontrollieren und den Staat zu reprĂ€sentieren. Um in der Schweizergarde zu dienen, muss man sich bewerben. Das Prozedere dazu ist ziemlich umfangreich. Es gibt Psychologie- und Intelligenztests, zwei bis drei Hearings, dazu GesprĂ€che mit dem Rekrutierungsbeauftragten und dem Kommandanten. Auf dessen Empfehlung entscheidet das Staatssekretariat des Vatikans.
Was hast du gemacht, bevor du zur Schweizergarde gekommen bist?
Ich habe nach der Schule erst eine Ausbildung zum Chemielaboranten gemacht. Danach war ich in der Schweizer Armee, weil es in der Schweiz immer noch eine Wehrpflicht gibt. Dort habe ich von der Möglichkeit gehört, zur Schweizergarde zu gehen. Mir war sowieso nach einem Tapetenwechsel. Ich dachte daran, vielleicht eine Zeit in die USA zu gehen, aber fand die Schweizergarde dann interessanter. In eine GroĂ- und Weltstadt wie Rom zu ziehen, die auch kulturell interessant ist, dazu der spannende Beruf. Mit 20 bin ich dann in den Vatikan gezogen.

Wie waren die ersten Tage dort?
Ich bin mit zwei Koffern nach Rom gegangen. Alle Schweizergardisten wohnen im Vatikan und sind auch automatisch vatikanische StaatsbĂŒrger. Zuerst war das Faszination pur. Ich konnte mich nicht sattsehen an der Stadt. Von einem Schweizer Dorf mit 8000 Einwohnern in eine 4-Millionen-Stadt, die Tag und Nacht lebt, das war mega spannend. Neben der Rekrutenschule war ich jede freie Stunde in Rom, um die SehenswĂŒrdigkeiten und KulturschĂ€tze zu sehen. Das war eine sehr spannende Zeit. Rom ist immer noch eine meiner LieblingsstĂ€dte.
Nach der Rekrutenschule ging es mit dem Dienst los.
Ja, und da habe ich wirklich die WĂŒrdentrĂ€ger der Welt gesehen. Einer meiner ersten Dienste war am Haupteingang, als PrĂ€sident Obama zu Besuch war. Er ist vielleicht 40 Zentimeter an mir vorbeigefahren, ich sah ihn auf Augenhöhe im SUV. Das sind wirklich spezielle Momente. Es war eine wahnsinnig spannende Zeit und eine Lebensschule. Ich habe viele Soft Skills erworben, zum Beispiel Haltung, Disziplin und Gehorsam. Es gibt wohl keine andere Armee, wo es so diszipliniert und gehorsam zugeht wie die Schweizergarde

Dario/dbna
Wie ist das Zusammenleben unter den Gardisten?
Man muss sich das vorstellen wie einen kleinen Schweizer Mikrokosmos in Rom. Es gibt auch so ein paar Schweizer Eigenarten im Vatikan. Zum Beispiel sollte man in Rom nicht aus dem Wasserhahn trinken. Aber weil die Schweizer das so gewohnt sind, hat die Schweizergarde eine eigene Wasseraufbereitungsanlage, damit wir aus dem Hahn trinken können (lacht).
Ist das ein eher kollegiales oder freundschaftliches VerhÀltnis?
Es ist teilweise so, dass die Kollegen zur Ersatzfamilie werden. Man hat ja die eigene Familie und Freunde dort nicht, die sind 1000 Kilometer weg. Ich habe dort ein paar Freunde gefunden, denen man alles erzÀhlen kann, man lacht und weint zusammen. Mit drei ehemaligen Kollegen bin ich auch immer noch im Kontakt.
Wussten deine Kollegen, dass du schwul bist?
In der Schweizergarde gibt es drei GrĂŒnde, unehrenhaft und sofort entlassen zu werden: Kameradendiebstahl, Gesetzesbruch â und unsittliches Verhalten. Das kann man jetzt interpretieren, wie man will, aber wenn du dich öffentlich outest, kannst du sofort die Koffer packen. Die Schweizergarde ist da sehr konservativ eingestellt. Wie in der gesamten katholischen Kirche ist HomosexualitĂ€t auch dort ein Tabuthema

Dario/dbna
Das heiĂt, du hast niemandem davon erzĂ€hlt?
Nein. Aber ich hatte auch mein inneres Coming-out sehr spĂ€t. In der Schweizergarde hatte ich groĂe MĂŒhe mit mir selbst. Ich wusste zwar relativ frĂŒh, dass ich eigentlich auf MĂ€nner stehe, aber akzeptiert habe ich das erst nach der Zeit in der Schweizergarde. Das klingt zwar unlogisch, aber die Schweizergarde hat mir dabei sogar geholfen. Die Zeit dort hat mir ein groĂes Selbstbewusstsein gegeben. Dadurch konnte ich mich selbst akzeptieren. Mit 23 habe ich dann gemerkt: Ich bin schwul, ich will das nicht Ă€ndern, das ist so, das ist Natur.
HÀttest du dich in der Garde geoutet, wenn es keine Konsequenzen gehabt hÀtte?
Es war ja nie ein Thema, weil es gar nicht ging. Vielleicht hĂ€tte ich es gemacht, ja. Ich wĂŒrde sagen, nach etwa einem Jahr dort hatte ich das nötige Selbstvertrauen dazu. Aber es war die Angst da, entlassen zu werden. Das wĂ€re schlimm gewesen, weil ich den Job dort ja mochte.
Hat dich das belastet?
Teilweise schon, ja. Wenn ich mit Kollegen aus war und die sehen eine hĂŒbsche Frau, kamen schon so Fragen wie: Hey Dario, wie findest du die? Dann habe ich gelogen: Ja, wirklich schön. Bei solchen SprĂŒchen kann man nicht einfach sagen, dass man eigentlich auf MĂ€nner steht. Es war ein Auf und Ab. Es gab eine Zeit, da hat es mich sehr belastet. Da habe ich gedacht, es kann nicht sein, dass ich schwul bin und damit der Bibel nicht treu bin. Aber so ist es.
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Du bist ja dennoch glĂ€ubig. Hat das zu Gewissensbissen gefĂŒhrt?
Ich bin nicht damit einverstanden, dass fĂŒr die katholische Kirche ausgelebte HomosexualitĂ€t SĂŒnde ist. Man kann einfach nicht gegen die Natur kĂ€mpfen. Aber ja, es war immer wieder ein Kampf mit mir selbst. Teilweise habe ich mich selber gehasst und gefragt, was ich fĂŒr ein Mensch bin. Aber nach einem Jahr etwa habe ich genug Selbstbewusstsein gehabt. Da habe ich verstanden: Das ist so, das ist fĂŒr mich keine SĂŒnde, es ist Liebe â und Liebe kann keine SĂŒnde sein.
Nach zwei Jahren hast du deinen Dienst beendet. Wie war dein Abschied im Vatikan?
Ja, das ist die Mindestdienstzeit, und viele Gardisten hören danach auf, weil sie in der Privatwirtschaft weitermachen wollen. Eines der schönsten Erlebnisse war die Abschiedsaudienz mit dem Papst ein paar Tage, bevor ich aufgehört habe. Das ist ein offizielles Treffen mit dem Papst, nicht als BeschĂŒtzer, sondern als Mensch. Er hat sich Zeit fĂŒr mich genommen, das war fĂŒr mich schon eine groĂe Ehre. Ich bin wahnsinniger Papst-Fan und finde, dass er ein toller Mensch ist. Er ist jemand, der die Welt wirklich bewegen kann. Es war eine sehr spezielle Aura, mit ihm alleine in einem Raum zu sein. Er hat sich bedankt, ein paar Fragen gestellt, mir den Segen gegeben. Das war fĂŒr mich eine wirklich schöne Geste.

Dario/dbna
Was hast du gemacht, seit du zurĂŒck in der Schweiz warst?
Ich habe zuerst ein Sprachdiplom in Bordeaux gemacht. Danach bin ich wieder in die Schweizer Armee zur Ausbildung zum höheren Unteroffizier. Seit Mai dieses Jahres arbeite ich als QualitĂ€tsmanager und Laborleiter. Dass ich in der Schweizergarde war, macht sich im Lebenslauf natĂŒrlich sehr gut. Das hat hier in der Schweiz immer noch einen sehr hohen Stellenwert.
Hast du dir noch im Vatikan ĂŒberlegt, wann und wie du dich outen wirst?
Nein, ich habe das ĂŒberhaupt nicht geplant, und auch noch etwas gewartet. Dieses Jahr war sozusagen das Jahr der VerĂ€nderung. Zuerst habe ich mich bei einem ehemaligen Schulfreund geoutet, der selbst schwul war. In diesem FrĂŒhling habe ich es dann meinem Freundeskreis erzĂ€hlt. Die haben alle sehr gut reagiert. Danach habe ich mich auf dbna angemeldet. Ich wollte in die Community gehen, Gleichgesinnte kennenlernen, Dates haben, auf Gaypartys gehen. Aber das fing erst nach der Armee an. Vor einem Monat habe ich es dann meinen Eltern erzĂ€hlt. Meine Mutter hat es sehr gut aufgenommen. Mein Vater hatte anfangs etwas MĂŒhe damit, aber mittlerweile nicht mehr. Es war insgesamt ein positives Coming-out und ich bin sehr dankbar, dass alle in meiner Familie so tolerant sind.
Hast du es auch jemanden aus der Schweizergarde erzÀhlt?
Ja, meinem besten Kollegen aus der Zeit. Da hatte ich wirklich Angst, er könnte mich verstoĂen. Aber meinte: Du bist immer noch Dario! Er hat es voll und ganz akzeptiert. Das war wirklich schön. Den anderen wĂŒrde ich es aber nicht unbedingt unter die Nase reiben. Manche sind eben einfach sehr glĂ€ubig und konservativ.
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